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Das Multiversum 3 Ursprung

Das Multiversum 3 Ursprung

Titel: Das Multiversum 3 Ursprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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bildeten keinen Kreis, wie Menschen es getan hätten. Sie formierten sich zu Grüppchen: Männer, die ihre Kräfte maßen, Frauen mit Kindern, Paare, die leidenschaftlich und so laut kopulierten, dass Emma peinlich berührt war. Aber es wurden keine Geschichten erzählt, weder gesungen noch getanzt. Sie aßen sogar getrennt, und jeder beugte sich über seinen Napf, als ob die Leute um ihr Essen fürchteten.
    Der Gruppe fehlten die grammatikalischen Eigenschaften einer Gemeinschaft, die durch Sprache miteinander verbunden war, sagte Emma sich. Das war kein sozialer Verband. Diese Wortfetzen, diese Proto-Sprache hatte viel mehr Ähnlichkeit mit den Schreien 86
    von Schimpansen oder gar Vogelgezwitscher als mit den Lautäußerungen von Menschen. Obwohl die Läufer sich zum Schutz zu-sammenfanden, lebten sie doch ein Leben als Einzelgänger, die jeweils eigene Ziele verfolgten und in ihrer eigenen kleinen Welt gefangen waren.
    Das sind keine Menschen, wurde Emma sich erneut bewusst, auch wenn sie so aussahen. Und eine Gemeinschaft war das auch nicht.
    Es glich eher einer Herde.
    Als es Nacht wurde, krochen Emma und die anderen in die Behausung, die sie zusammen mit Feuer errichtet hatte. Ein paar Hominiden folgten ihnen – Mütter mit Säuglingen. Maxie weinte und beklagte sich über den Gestank der ungewaschenen Leiber.
    Aber Emma und Sally beruhigten ihn und sich selbst und versi-cherten sich gegenseitig, dass sie hier wohl besser aufgehoben waren als im Freien oder im Wald.
    Ein Kind, das nach menschlichen Maßstäben nicht älter als fünf oder sechs Jahre schien, wurde krank. Augenlider, Wangen, Nase und Lippen waren mit Schorf bedeckt. Das Kind war dürr und offensichtlich in einer schlechten Verfassung; seine Bewegungen waren schwach und matt.
    »Ich glaube, es hat Framboesie«, sagte Sally. »Ich habe das schon einmal in Afrika gesehen … Es ist mit Syphilis verwandt. Übertragen wird es aber durch Fliegen, die den Erreger von einer Wunde zu andern transportieren. Die ersten Anzeichen sind leichte Schwellungen in den Augenwinkeln oder an den Nasenflügeln, wo die Fliegen die Körperfeuchtigkeit aufsaugen.«
    »Und was für ein Gegenmittel gibt es?«
    »Eine Extencillin-Spritze. Bietet lebenslangen Impfschutz. Aber das haben wir natürlich nicht.«
    Emma kramte im Verbandskasten. »Was ist mit Floxapen?«
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    »Vielleicht. Aber Sie wären verrückt, wenn Sie es für sie opfern.
    Wir werden es selbst noch brauchen. Und zwar für die Geschwüre, die wir bekommen werden.«
    Emma versuchte, die Anweisungen auf der kleinen Flasche zu entziffern. Sie fand einen Fleischfetzen, wickelte darin eine Pille ein und verabreichte sie dem Kind. Es fiel ihr schwer, die Hand nach diesem grotesk angeschwollenen Gesicht auszustrecken.
    Am nächsten Morgen wiederholte sie die Prozedur und setzte sie dort, bis das Floxapen aufgebraucht war. Sie hatte den Eindruck, dass das Kind sich allmählich wieder erholte.
    Vielleicht erhöhte das ihre Akzeptanz bei den Läufern. Sie war sich nicht sicher, ob die Leute überhaupt begriffen, was sie da tat, ob sie den kausalen Zusammenhang zwischen ihrer Behandlung und der Genesung des Mädchens erkannten.
    Sally machte ihr keine Vorhaltungen. Trotzdem erkannte Emma, dass sie sich im Stillen darüber ärgerte, was sie als Vergeudung ihrer knappen Ressourcen betrachtete. Zu einer Verbesserung ihres Verhältnisses trug das jedenfalls nicht gerade bei.
    Als sie fünf oder sechs Tage nach ihrer Ankunft aufwachte, sah Emma tiefblauen Himmel zwischen den Ästen, die ein Dach über ihr bildeten. Sie schüttelte die Decke aus Fallschirmseide ab und kroch aus der Öffnung der Behausung.
    Zum ersten Mal, seit es sie hierher verschlagen hatte, war der Himmel klar. Die Sonne stand noch tief, aber sie war schon stark, und Emma spürte ihre wohlige Wärme im Gesicht. Der bewölkte Himmel erstrahlte im schönsten Blau, und er war – tief. Sie sah niedrige Haufenwolken, dick, grau und träge und hohe Schleier-wolken, die schnell am Himmel entlang zogen, und noch höher ätherische Spuren: Wolkenschichten, die ihr einen Eindruck von Größe vermittelten, den sie bisher nur selten – falls überhaupt – von der Erde gehabt hatte.
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    Sie versuchte sich zu orientieren. Wenn die Sonne zu dieser Ta-geszeit in dieser Richtung stand, dann schaute sie gen Osten. Und wenn sie nach Westen blickte – o mein Gott –, sah sie einen Mond: Mehr als halb voll, einen großen, dicken, wunderschönen, hellen Mond.
    … Zu

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