Das Multiversum 3 Ursprung
höhere Dichte hatten als die von Menschen. Sie packten ihre Kinder, klammerten sich aneinander und 211
wateten mühsam ans Ufer, wo sie sich wie Robben hinlegten. Sie schüttelten den Kopf, um die dichten Locken vom Wasser zu befreien; die Tropfen fielen in der niedrigen Schwerkraft mit ge-spenstischer Langsamkeit in den Fluss zurück.
Emma spürte, dass Wasser in die Beine der Fliegerkombi ein-drang. Maxie schrie auf und schmiegte sich noch enger an sie.
Emma war einfach nicht in der Lage, mit Maxie und seiner Mutter diesen paar Meter breiten, tiefen Flussabschnitt zu bewältigen.
Feuer war einer der letzten, die das Floß verließen. Er stand aufrecht auf dem Floß und versuchte mit rudernden Armen das Gleichgewicht zu halten, während die Äste unter seinen Füßen knackten und auseinanderdrifteten. Dann sprang er mit einem Schrei und mit den Füßen voran ins Wasser. Er taumelte, als die Füße im Schlick versanken, aber er bewahrte das Gleichgewicht.
Mit einem Ausdruck des Erstaunens schaute er aufs Wasser, das ihn in Hüfthöhe umströmte.
»Feuer!«, rief Emma. »Hilf uns, Feuer! Feuer Feuer Emma Maxie!«
Er schaute sich trüb um.
Emma hob Maxie über den Kopf. Das Kind kreischte und zappelte so heftig, dass Emma nicht imstande wäre, ihn noch viel länger so zu halten. »Feuer Feuer!«, rief sie.
Feuer streckte in einer fließenden Bewegung die Hand aus. Er packte Maxie unter der Achselhöhle und nahm ihn Emma weg, als sei das Kind so leicht wie Schaumstoff. Dann drehte er sich um und watete planschend ans Ufer, wobei er Maxie in die Höhe hielt.
Ohne eine bewusste Überlegung – ohne auch nur Ausschau nach Krokodilen zu halten – schob Emma die letzten Äste des Floßes weg, so dass sie und Sally ins Wasser glitten. Sally lag reglos mit dem Gesicht nach unten im Wasser, doch Emma gelang es, sie auf den Rücken zu drehen. Die improvisierte Schlinge war blutver-212
schmiert und vom lehmigen Flusswasser verschmutzt. Emma legte sich den Kopf der bewusstlosen Frau auf den Bauch und verschränkte die Finger unter Sallys Kinn. Dann schwamm sie unter Einsatz der Beine und des freien Arms mit Sally im Schlepp rück-wärts.
Sie war bald erschöpft. Die nasse Kleidung klebte schwer an ihr, und bei den Stiefeln hatte sie das Gefühl, dass sie aus Beton gegossen wären. Es schien eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis die Füße in das steil ansteigendes Flussufer einsanken. Sie stand keuchend auf.
Sally trieb noch immer im Wasser. Emma packte sie an der Schulter, stützte ihren Kopf ab und zog sie ans Ufer. Niemand kam ihr zu Hilfe – niemand außer Maxie, und der war auch mehr eine Behinderung als eine Hilfe.
Schließlich zog sie Sally so weit auf die Böschung, dass das lehmig braune Wasser nicht mehr um ihre Füße schwappte. Dann fiel sie erschöpft auf den Rücken.
Auf dieser Seite des Flusses war weniger von dem Ascheregen nie-dergegangen, der den Läufern seit Tagen zugesetzt hatte. Jenseits des geröllübersäten Ufers war das Gelände stark bewaldet. Die Läufer drängten sich in angstvollem Schweigen zusammen und ließen den Blick über die dichte grüne Wand schweifen.
Die Nacht brach herein.
Fast ohne ein Wort miteinander zu wechseln, krochen ein paar Läufer vorsichtig in den Wald. Andere gingen zögernd am Ufer entlang und sondierten das Terrain, während Feuer mit ein paar Frauen Äste vom Waldrand heranschleppte und ein Lagerfeuer vorbereitete. Feuer warf scheue Blicke auf Emma; offensichtlich erinnerte er sich vage daran, dass es ihr gelungen war, ein Feuer zu entzünden, nachdem er die Glut verloren hatte. Das war wahrscheinlich ein Schlüsselmoment in seinem jungen Leben gewesen.
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Eins nach dem andern, sagte sie sich.
Sie zog Sally weiter das Ufer hinauf. Dann brachte sie sie wieder in die stabile Seitenlage, öffnete den Reißverschluss von Sallys Ho-se und streifte sie mit einiger Mühe ab, gefolgt vom Schlüpfer. Die Kleidungsstücke waren natürlich verdreckt, mit Exkrementen und dem Schlamm des Flusses, und klebten am Körper. Trotzdem zö-
gerte Emma, sie aufzuschneiden – schließlich war das Sallys einzige Kleidergarnitur auf der ganzen Welt. Nachdem sie ihr den Schlüpfer ausgezogen hatte, säuberte Emma Sally so gut es ging mit Blättern und bedeckte sie mit ihrem eigenen T-Shirt.
Dann ließ sie Maxie bei seiner Mutter zurück und ging mit schnellen Schritten am Ufer entlang. Nach fünfzig Schritten kam sie zu einem Wasserlauf, der irgendwo im Wald entsprang. Er
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