Das Multiversum 3 Ursprung
hatte sich ein flaches Tal gegraben. Zwei Kinder spielten dort, planschten im Wasser und balgten sich. Emma ging ein Stück flussaufwärts und wusch Sallys Hose und Unterwäsche im seichten, träge plätschernden Wasser aus. Als sie fertig war, wusch sie sich Arme und Hände, spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und nahm einen tiefen Schluck. Dann holte sie den Plastikbeutel aus der Tasche – einen der wenigen Gegenstände, den sie noch nicht verloren hatte – und füllte ihn mit Wasser.
Die Erinnerung an halb verschüttetes medizinisches Wissen kehrte zurück. Durchfall und Erbrechen hatten Dehydrierung zur Folge, die man mit Zucker und Salz behandeln musste, je einen Teelöffel auf einen Liter Wasser, wenn sie sich recht erinnerte.
Schön, nur dass sie weder Zucker noch Salz hatte und auch keinen Teelöffel …
Sie ließ den Blick übers Ufer schweifen.
Stein hockte neben Sally. Er hatte das T-Shirt entfernt, mit dem sie bedeckt gewesen war und fuhr ihr mit den Händen den Schenkel hinauf. Maxie war zum Waldrand zurückgewichen und sah 214
mit angstgeweiteten Augen zu, wie der große Mann seine Mutter befummelte.
Emma legte den Wasserbeutel ab, stand auf und ging zu Sally zurück. Sie griff nach dem Taschenmesser, das ihr um den Hals hing. Sie kam bis auf einen halben Meter an Stein heran, ohne dass der sie überhaupt bemerkt hätte.
Wohin willst du ihn also stechen, Emma? In die Backe, in den steinharten Penis, in den Rücken? Du musst doch damit rechnen, dass diese putzige kleine Klinge nicht mehr als ein Mückenstich für ihn ist. Er wird dich töten und dann mit Sally weitermachen.
Sie klappte die Lupe aus und hielt sie so in die Sonne, dass sie einen hellen Punkt auf Steins Stiernacken warf. Er heulte auf und hieb sich ins Genick. Dann sprang er auf und wirbelte mit wedeln-dem Penis herum. Sie versuchte, ruhig zu bleiben und richtete die Linse so aus, dass der Lichtpunkt auf sein Auge projiziert wurde.
Er hob geblendet die Hände. »Halt dich von ihr fern, Stein, du Arschloch«, sagte sie, »oder ich mache, dass die Sonne dich ver-brennt. Stein Sonne Stein Sonne! Verstanden?«
Er knurrte, aber das Licht stach ihm noch immer ins Auge. Er trollte sich mit erschlaffendem Penis.
Emma versuchte ihr Zittern zu kaschieren und ging bemüht selbstbewusst zum Ufer zurück. Sie hob den Wasserbeutel auf und eilte wieder zu Sally.
Sally lag noch immer auf der Seite; der Kopf lag auf dem unversehrten Arm, die Augen waren geschlossen, der Mund offen. Sie hatte eine Speichelblase im Mund. Plötzlich platzte die Blase.
»Ach du Scheiße«, sagte Emma. Sie packte Sally und drehte sie auf den Rücken. Sally stieß einen Seufzer aus und war wieder stumm. Emma kniff Sally in die Wangen, bis der Mund sich öffnete. Die Haut war kalt und wächsern. Sie steckte die Finger in Sallys Mund, holte Erbrochenes heraus und warf es in den Sand.
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Dann legte sie Sally die Hand unters Kinn und drückte den Kopf nach hinten. Sie hörte keinen noch so leisen Atemzug.
Sie fuhr mit den Händen über Sallys Körper und suchte nach dem Ende des Brustbeins. Dann schob sie die Hände in die Mitte der Brust, legte die Hände aufeinander und presste. »Eins-und-zweiund …«
Ein Kind kam aus dem Wald gerannt, ein flinkes haariges Kind, dessen Gesicht zu einer bösartigen Fratze verzerrt war. Maxie rannte schreiend davon. Emma zuckte zurück. Ihr stockte der Atem.
… Nein, kein Kind. Es war ein Affe, ein Erwachsener – eigentlich eine Frau mit zwei kleinen schlaffen Brüsten und einem dürren Körper, der mit struppigem schwarzbraunem Haar bedeckt war.
Sie war nicht einmal einen Meter groß. Sie hatte das Gesicht eines Schimpansen mit tief in den Höhlen liegenden Augen, einen ge-wölbten Mund mit dicken runzligen Lippen, hinter denen sich eckige Zähne verbargen. Emma hätte ihren Schädel mit einer Hand zu überwölben vermocht. Aber das Geschöpf hatte einen aufrechten menschlichen Gang, wie ein ungelenkes Mannequin – die Füße waren eher menschlich als affenartig –, und in einer ge-krümmten knochigen Hand, die ihr bis unters Knie herabhing, hielt sie etwas, das wie ein bearbeiteter Stein aussah.
Sie war eine Karikatur, eine verschrumpelte hässliche Kreuzung aus Affe und Mensch, ein zwergenhaftes Gespenst: Eine Elfe, wie die Läufer diese Art bezeichneten. Diese Affen-Frau rannte nun zu Emma hinüber und hampelte vor ihr herum.
Emma hob eine Handvoll Sand auf und warf sie der Elfe ins Gesicht.
Die Elfe heulte auf,
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