Das Multiversum Omnibus
scheint auch die Spezielle Relativitätstheorie abgeleitet zu haben. Aus den Grundprinzipien.«
»Und wie?«
Younger zuckte die Achseln. »Wenn man ein physikalisches Verständnis hat, braucht man nur den Satz des Pythagoras. Und den hat Michael vor zwei Jahren selbst bewiesen.«
Der Junge spielte stumm und besessen mit der Taschenlampe und ignorierte die Erwachsenen.
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Sie trat hinaus ins gleißende Sonnenlicht. Michael folgte ihr nach draußen. Im hellen Licht sah sie, dass Michael ein Mal auf der Stirn hatte. Einen perfekten blauen Kreis.
»Was ist das? Ein Stammeszeichen?«
»Nein.« Younger zuckte die Achseln. »Es ist nur Kreide. Er tut das selbst und erneuert es jeden Tag.«
»Was hat es zu bedeuten?«
Younger wusste es nicht.
Sie sagte Younger, dass sie am nächsten Tag mit Tests wiederkä-
me und sich vielleicht einmal mit Michaels Eltern treffen sollte, um über die Betreuungsformalitäten, die Vergütung und Bedingungen zu sprechen, die die Stiftung anbot.
Younger informierte sie, dass die Eltern des Jungen tot seien.
»Das müsste die Betreuung vereinfachen«, sagte er fröhlich.
Sie hob die Hand, um sich vom Jungen zu verabschieden. Mit geweiteten Augen schaute er auf die Hand. Dann redete er plötzlich aufgeregt auf Younger ein und zupfte ihn am Ärmel.
»Was ist denn?« fragte sie. »Stimmt etwas nicht?«
»Es ist das Gold. Der goldene Ring an Ihrer Hand. Er hat noch nie zuvor Gold gesehen. Schwere Atome, sagt er.«
Sie verspürte den Impuls, dem Jungen den Ring zu geben – schließlich war er nur ein Symbol ihrer gescheiterten Ehe mit Malenfant und bedeutete ihr kaum noch etwas.
Younger sah ihren Zwiespalt. »Geben Sie ihnen nichts. Weder Geschenke noch Geld. Es kommen viele Leute hierher, um ihr letztes Hemd zu geben.«
»Schuldgefühle.«
»Vermutlich. Aber wenn Sie einem Geld geben, dann wollen alle anderen auch etwas. Sie haben keinen Ehrgeiz, diese Burschen. Sie leben mit ihrem Bier und den vier Frauen in den Tag hinein. Auf ihre Art sind sie glücklich.«
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Sie erinnerte sich, dass Younger in genau dem gleichen Tonfall über den Pavian auf der Mülltonne gesprochen hatte.
Mindi, das dürre Mädchen, kam mit einer Plastikschüssel mit frischem Wasser zurück. Sie schaute besorgt auf Younger und vermied Blickkontakt mit Emma.
Wenn sie dreizehn war, sagte Emma sich, war das Mädchen hier schon im heiratsfähigen Alter. Vielleicht fand Stef Younger doch mehr Erfüllung in seinem Leben als bloßen Altruismus.
Es war eine Wohltat, ins Auto zu steigen, kühles Wasser zu trinken und sich den zehn Millionen Jahre alten Staub der Kalahari aus dem Haar zu bürsten.
■
In jener Nacht hatte sie Schlafstörungen. Das Bild dieser strahlenden Dorfkinder wollte ihr einfach nicht aus dem Kopf gehen.
Stumme namenlose Miltons, in der Tat.
Auf der Reise hierher hatte Emma noch ein paar Recherchen über die Milton-Stiftung angestellt.
Milton erwies sich als eine zwielichtige Koalition aus kommerziellen, philanthropischen und religiösen, vor allem christlichen Gruppen. Die Stiftung war international und hatte Schulen in vielen Ländern gegründet, einschließlich den Vereinigten Staaten.
Die Kinder wurden in der Regel von ihren Familien getrennt und in Schulen untergebracht, die sich in vielen Fällen auf der anderen Seite der Welt befanden. Manche Journalisten wollten sogar recherchiert haben, dass Kinder ständig von einer Schule zur andern versetzt wurden, auch über Ländergrenzen hinweg, was die Beobachtung zusätzlich erschwerte.
Nicht überall freute man sich nämlich über die Gründung einer Schule für Kinder, die als Genies bezeichnet wurden. Niemand 116
mag Klugscheißer. An manchen Orten waren Schulen und Kinder Zielscheibe von Angriffen geworden, und es ging das Gerücht von einem Mordfall um. Emma hatte gehört, dass die Stiftung große Summen in Sicherheitsmaßnahmen investierte und fast genauso viel in die Öffentlichkeitsarbeit.
Und es kursierten wilde Gerüchte über die Vorgänge in den Schulen.
Emmas Bedenken gegen ein Engagement von Bootstrap in der Initiative wurden immer größer. Aber sie wusste, solange sie nicht mit einem stichhaltigen Grund für einen Rückzug aufwartete, wür-de Malenfant sich über ihre Einwände hinwegsetzen.
Sie wünschte, ihr Hintergrundwissen über Cornelius und seine zwielichtigen Gesellschafter wäre größer. Sie wusste nicht einmal, wie dieses Programm sich überhaupt in die größere Agenda von Eschatology einfügte: das
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