Das muss Liebe sein
du's denn so eilig?«
Warum hatte er es so eilig? Er war im Begriff gewesen, mit Gabrielle zu schlafen, und er war keineswegs sicher, dass ihm so etwas nicht noch einmal passieren würde. Er konnte sich noch so lange einreden, dass es nie wieder so weit kommen würde, aber gewisse Körperteile gehorchten ihm einfach nicht. Ihretwegen hätte er um ein Haar seine Karriere in Gefahr gebracht. Wenn sie nicht von dieser Verwandten erzählt hätte, die mit Walen kommunizierte, hätte er sie womöglich gleich dort auf dem Fußboden ihres Wohnzimmers genommen. »Ich werde wohl langsam kribbelig«, antwortete er.
»Du denkst immer noch wie ein Rauschgiftfahnder.« Winston stand auf und schob seinen Stuhl quer durch den Raum zurück. »Manchmal liegt der Spaß im Warten, und damit könnten wir noch eine ganze Weile beschäftigt sein«, prophezeite er.
Aber Zeit war genau das, was Joe nicht hatte. Er musste sich unbedingt einen anderen Fall zuweisen lassen, bevor er diesen restlos vermasselte und seinen Job verlor oder zur Motorradstreife degradiert wurde. Das allerdings stellte ihn vor ein großes Problem. Er konnte nicht einfach so ohne triftigen Grund um die Betrauung eines anderen Falls bitten, und die Erklärung »ich fürchte, ich könnte DNA mit meiner geheimen Informantin austauschen«, kam nicht in Betracht. Er musste etwas unternehmen, hatte allerdings nicht die geringste Ahnung, was das sein sollte.
Er ließ den Bericht und die eidesstattliche Erklärung auf seinem Schreibtisch liegen und ging zur Tür. Wenn er sich beeilte, erwischte er Ann Cameron vielleicht noch, bevor der Mittagsbetrieb einsetzte. Sie war genau der Typ Frau, den er sich immer als Freundin gewünscht hatte. Sie war attraktiv, konnte wunderbar kochen, aber was viel wichtiger war: Sie war normal. Unkompliziert. Baptistin. Sie war ganz anders als Gabrielle.
Knapp eine halbe Stunde später saß Joe an einem kleinen Tisch in Annes Bistro und stärkte sich genussvoll mit warmem, knusprigem Brot und einem Teller voll Hühnchen mit einer sahnigen Pestosoße. Er fühlte sich wie im siebten Himmel – wenngleich da etwas war, das ihn daran hinderte, seine Mahlzeit restlos unbeschwert zu genießen. Er wurde das Gefühl nicht los, dass er seine Freundin betrog. Dass er Gabrielle mit Ann betrog. Das war ein völlig irrationales Gefühl. Doch es nagte an ihm, belästigte ihn irgendwo im hintersten Winkel seines Gehirns und ließ ihn nicht in Ruhe.
Ann saß ihm am Tisch gegenüber und plapperte nonstop über ihr Geschäft und ihr Leben und ihre gemeinsame Kindheit in derselben Wohngegend. Es war eine vollkommen normale Unterhaltung, aber er hatte das Gefühl, dass auch das irgendwie nicht ganz richtig war.
»Ich achte darauf, täglich mindestens eineinhalb Liter Wasser zu trinken und drei Meilen zu gehen«, berichtete sie. Ihre Augen strahlten geradezu, als wäre sie ziemlich aufgeregt, doch Joe verstand überhaupt nicht, was an Gehen und Wassertrinken so aufregend sein sollte. »Ich weiß noch, dass du jeden Abend mit dem Hund Gassi gegangen bist«, sagte sie. »Wie hieß er noch gleich?«
»Kratzer«, antwortete er in Erinnerung an den Hund, den er aus dem Teich gerettet hatte. Kratzer war eine Mischung aus Pitbull und Sharpei und der beste Hund, den sich ein Junge wünschen konnte. Jetzt besaß Joe einen Vogel. Einen Vogel, der mit Gabrielle brüten wollte.
»Ich habe einen Spitz, Snicker Doodle. Er ist so süß.«
»Lieber Himmel.«
Er schob seinen Teller von sich und griff nach seinem Glas mit Eistee. Okay, über einen kleinen Kläffer konnte er hinwegsehen. Ann war eine tolle Köchin und hatte schöne Augen. Es lag überhaupt kein Grund vor, warum er sich nicht mit ihr treffen sollte. Er hatte keine Freundin.
Er fragte sich, ob Sam Ann wohl würde leiden mögen oder ob er versuchen würde, sie aus dem Haus zu jagen. Vielleicht war es an der Zeit, sie zu sich einzuladen und es herauszufinden. Und was seine Schuldgefühle betraf, es gab absolut nichts, weswegen er sich hätte schuldig fühlen müssen. Nichts. Nada. Und damit basta.
Gabrielle hatte geplant, einen ruhigen Vormittag zu Hause zu verbringen und ätherische Öle vorzubereiten. Stattdessen malte sie wie ein verrückt gewordener Van Gogh. Sie lehnte das Porträt, an dem sie gearbeitet hatte, gegen die Wand und begann ein neues. Ihre Mutter unterbrach sie zweimal durch einen Anruf, deshalb stöpselte sie das Telefon aus. Gegen Mittag war ihr neustes Gemälde von Joe fertig – bis auf
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