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»Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition)

»Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition)

Titel: »Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Bahr
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Entspannungspolitik und vielleicht keine Einheit gegeben.
    Im dritten Wahlgang wurde Gustav Heinemann im März 1969 mit den Stimmen der FDP zum Bundespräsidenten gewählt. Das wurde allgemein als Vorspiel zum Machtwechsel empfunden. Aber sicher konnte man nicht sein. Nach einer Skatrunde mahnte »mein« Staatsoberhaupt, meinen Whisky zu quittieren, den »Bewirtungsnachweis für den Bundesrechnungshof«, wie er sein Gästebuch nannte. »Schade, dass Willy keinen Skat kann. Sage ihm, ich werde nicht unbedingt den Mann der stärksten Fraktion, sondern den zum Bundeskanzler vorschlagen, der eine Mehrheit bringen kann. Der Bundespräsident ist nicht dazu da, sich im Parlament einen Refus zu holen.«
    Aus der Tätigkeit im Auswärtigen Amt nahm ich wichtige Erkenntnisse mit. Das AA macht keine Außenpolitik, sondern verwaltet sie. Das tut es gut bis vorzüglich nach den Weisungen seiner Spitze, auch dann, wenn diese Weisungen falsch sind, und in eigener Auslegung, solange neue Vorgaben fehlen.
    In der Regel gibt es Spannungen unterschiedlichen Grades zwischen Außenministerium und Bundeskanzleramt. Die einen fühlen sich als die gutinformierten Wahrer der deutschen außenpolitischen Interessen, die anderen blicken auf das Fundament und die Quelle der innenpolitischen Macht, die Wahlen. In der »Direktorenrunde«, der täglichen Zusammenkunft der leitenden Mitarbeiter, hörte ich ziemlich laute Beschimpfungen über anmaßende Weisungen von ignoranten kleinen Lichtern im Kanzleramt. Höhere Beamte aus dem Auswärtigen Amt, die ins Kanzleramt abgeordnet waren, erzählten mir, erst dort hätten sie verstanden, dass es Innen- und Parteipolitik und sogar persönliche Interessen gibt, die in der Person an der Regierungsspitze zusammenlaufen. Das ist der Preis der Demokratie. Doch wenn Kanzler oder Kanzlerin den Machterhalt zur Priorität machen, ist das zwar legitim, aber schädlich für das Land.
    Staatssekretär Duckwitz, der die »Morgenandacht« leitete, wie die Direktorenrunde intern genannt wurde, überreichte mir (in Bonn!) eine Farblithographie mit einem Berliner Motiv und verabschiedete mich mit folgenden Worten: »Sie werden nun als zuverlässiger Angehöriger unseres Hauses zur Arbeit hinter den feindlichen Linien entlassen.«
    Der Sprung an die Spitze
    Am Sonntag, den 28. September 1969, fällt die Hektik der vergangenen Wochen ab. Was getan werden konnte, ist getan. Ich bin sehr ruhig und finde Willy auf dem Venusberg – dort befand sich die Dienstvilla des Außenministers – allein spazieren gehen, gesammelt, ernst, locker, sehr zuversichtlich, nicht sicher, aber entschlossen. Es ist ganz selten, dass wir in persönlichen Gesprächen große Worte benutzen. Aber ich höre mich sagen: »Wenn es jetzt ernst wird, bist du nicht mehr eine Figur in der Geschichte, sondern machst sie. Und das ist nicht zu revidieren. Jeder Tag wird zählen. Du musst entscheiden und durchsetzen, was du für richtig hältst, und wirst in der Partei so stark wie nie sein.« Minuten verstreichen wortlos. Langes Schweigen ist im Gehen besser als im Sitzen zu ertragen. Dann entwickelt er seine personellen Vorstellungen für Kabinett und Fraktion und fragt nach meinen Wünschen. Es bleibe dabei, dass mich kein Titel, sondern allein ein Posten interessiere, von dem aus ich für unsere Außenpolitik wirken könne. Dann bittet er mich, die Telefonnummer von Scheel zu besorgen. Bei dem Anruf hört sich der FDP-Vorsitzende nicht mehr so optimistisch an wie noch wenige Tage zuvor im Fernsehen.
    Im Parteihaus löst dann die erste Hochrechnung einen Schock aus. 47 Prozent für die CDU, 40 Prozent für die SPD. Die Erinnerung an den Vormittag: Wir haben uns lächerlich gemacht. Willy zieht sich zurück und will niemanden sehen. Ich wüsste auch nicht, was ich ihm sagen könnte. Ich fühle mich gelähmt. Auch der ehrlichste Freund ist in einem solchen Moment unfähig zu helfen. Nicht nur objektiv, weil nur Willy allein in diesem existentiellen Augenblick seines politischen Lebens entscheiden kann, sondern auch subjektiv: Um den notwendigen Abstand zu einer sachlich abgewogenen Position zu finden, würde ich mehr Zeit brauchen, als Willy zur Verfügung hat. Der Unterschied zu seiner Stärke wird deutlich. Ich bin nicht so robust. Diese Erkenntnis bleibt unvergesslich. Wir haben einen solchen Augenblick nicht mehr erlebt.
    Die Erfahrung dieser Nacht bleibt lebendig. Da war die Elite der SPD versammelt. Gestandene, erfahrene, machtbewusste, intelligente

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