Das Muster der Liebe (German Edition)
immer geglaubt, ich würde vor meinem Vater sterben.
Viele Menschen empfinden Unbehagen, wenn über den Tod gesprochen wird. Ich aber, ich habe so lange mit dem Tod im Nacken gelebt, dass das bei mir anders ist. Die Möglichkeit zu sterben war für mich so selbstverständlich, so präsent, dass ich heute darüber sprechen kann wie andere Menschen über das Wetter.
Das erste Mal wurde Krebs bei mir in dem Sommer diagnostiziert, als ich sechzehn wurde. An jenem Tag im August machte ich mich auf den Weg, um meinen Führerschein abzuholen. Ich hatte die theoretische und praktische Prüfung erfolgreich bestanden. Meine Mutter ließ mich den Weg von der Fahrschule zum Augenarzt fahren. Es sollte eine Routineuntersuchung werden, bevor ich zur Highschool ging. Ich hatte große Pläne für den Tag. Sobald ich von der Untersuchung zurück sein würde, wollten Becky und ich zum Strand. Zum ersten Mal würde ich dann ganz allein fahren. Ich freute mich darauf, endlich ohne meine Mutter, meinen Vater oder meine ältere Schwester an meiner Seite am Steuer zu sitzen.
Ich war wütend, weil meine Mutter den Termin beim Arzt direkt im Anschluss an meine Fahrprüfung vereinbart hatte. In der Zeit vor der Prüfung hatte ich einige Probleme gehabt – Kopfschmerzen und Schwächeanfälle. Mein Vater vermutete, ich benötigte vielleicht eine Lesebrille. Die Vorstellung, an der
Lincoln High School
mit einer Brille auf der Nase aufzutauchen, stimmte mich nicht besonders froh. Um ehrlich zu sein, machte mich der Gedanke ziemlich unglücklich. Ich hoffte, meine Eltern würden mir erlauben, Kontaktlinsen zu tragen. Doch wie sich herausstellen sollte, war eine leichte Sehschwäche mein geringstes Problem.
Der Arzt, ein Freund meiner Eltern, schien eine Ewigkeit mit seinem unglaublich hellen Lämpchen in mein Auge zu leuchten. Er stellte mir unzählige Fragen über meine Kopfschmerzen. Das ist mittlerweile fünfzehn Jahre her. Aber ich werde nie seinen Gesichtsausdruck vergessen, als er danach mit meiner Mutter sprach. Er wirkte so ernst, so nüchtern. So besorgt.
“Ich möchte für Lydia einen Untersuchungstermin an der Universitätsklinik von Washington vereinbaren. Und zwar umgehend.”
Meine Mutter und ich waren überrascht. “Gut”, erwiderte meine Mutter und blickte zwischen Dr. Reid und mir hin und her. “Gibt es ein Problem?”
Er nickte. “Was ich mit meinen Apparaten erkennen kann, gefällt mir überhaupt nicht. Ich möchte, dass Dr. Wilson einen Blick darauf wirft.”
Dr. Wilson begnügte sich jedoch nicht damit, nur “einen Blick darauf zu werfen”. Während der Operation entfernte er einen Hirntumor, der sich später als bösartig herausstellte. Heute kommen mir diese Worte leicht und locker über die Lippen, aber es war keine schnelle oder einfache Sache. Im Gegenteil. Die Diagnose bedeutete wochenlange Krankenhausaufenthalte und stechende, lähmende Kopfschmerzen. Auf die Operation folgten eine Chemotherapie und eine Strahlenbehandlung. Es gab Tage, an denen selbst das kleinste bisschen Licht mir solch unerträgliche Schmerzen bereitete, dass ich mich dazu zwingen musste, nicht laut zu schreien. Tage, an denen ich jeden Atemzug ganz bewusst machte und um mein Leben kämpfte. Ich spürte, dass es mir zu entgleiten drohte. Trotzdem gab es so manchen Morgen, an dem ich mir wünschte, tot zu sein. Ich glaubte, diese Qualen nicht länger ertragen zu können. Ohne meinen Vater
wäre
ich wahrscheinlich gestorben.
Mein Kopf war für die Operation rasiert worden. Dann, als mein Haar endlich nachzuwachsen begann, fiel es durch die Chemotherapie gleich wieder aus. Ich verpasste das komplette erste Jahr an der Highschool. Und als ich wieder in die Schule zurückkehren konnte, war nichts mehr wie früher. Alle sahen mich plötzlich mit anderen Augen. Ich ging nicht zum Abschlussball der Highschool, weil kein Junge mich bat, mitzukommen. Einige Freundinnen luden mich ein, mit ihnen zu gehen, aber ich lehnte ab – wahrscheinlich aus falschem Stolz. Heute wünschte ich, ich hätte ihre Einladung angenommen.
Der traurigste Teil der Geschichte war, dass der Tumor zurückkehrte. Und das gerade, als ich glaubte, all die Medikamente und Schmerzen hätten sich gelohnt, und ich dachte, ich könnte wieder ein ganz normales Leben führen.
Ich werde den Tag nie vergessen, als Dr. Wilson uns erklärte, der Krebs sei wieder ausgebrochen. Dabei war es nicht sein besorgter Gesichtsausdruck, der sich mir ins Gedächtnis einbrannte. Nein. Es
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