Das Musterbuch (German Edition)
Bild einer jungen Frau, seiner angebeteten Elena, das er vor vielen Jahren dem Vater geschenkt hatte! "Sagen Sie ja!"
***
Col tempo - mit der Zeit veränderte sich alles! Madre Materia - Madre Prima - für ihn war diese Frauengestalt eine Vision der ersten Mutter schlechthin. "Was machst du da?", fragte ihn der Meister, der dem jungen Kollegen über die Schulter schaute. "Eine coperta! ", entgegnete Giorgione. "Nein, nicht die Funktion als Schutzdeckel interessiert mich hier sondern das Thema", entgegnete Giovanni und Giorgione fuhr fort.
"Sie stellt eine alte Frau da, die ihr Leben gelebt hat, ein arbeitsreiches Leben, und sich nun gegen Ende ihres Daseins fragt: was habe ich gemacht? Ihre Zeit ist verstrichen, ihr bleibt kaum die Möglichkeit zur Korrektur und sie sagt: col tempo . Mit der Zeit...
"Wie kommst du zu so einer Vision, Zorzio? Du bist doch noch jung?" "Ja Meister", so nannte er ihn immer, "aber schreibt nicht Aristoteles in seiner Fisica , dass das Gesicht eines Menschen sein ganzes Dasein ausdrückt? Also die Vergangenheit wie auch die ihm bleibende Zeit? Also ist ein Porträt nichts anderes als ein Zeitmass, wie ein angehaltenes pendolo , das uns Auskunft gibt über schöne Zeiten oder schwere Zeiten, und über die Möglichkeit - geistig wie physisch, das eigene irdische Leben noch zu formen!"
Giovanni war überrascht, den Kollegen so reden zu hören. Manchmal kam es ihm so vor, dass jener mehr Lebenserfahrungen hinter sich hatte, als er selbst. Wie konnte dies aber ein gerade 25jähriger Künstler aus der Provinz? "Nun aber die wichtigste Frage, Zorzi, hast du ein konkretes Modell gehabt?" "Nein, Maestro, ich dachte nur an meine Mutter und an all die Frauen, die so schwer zu arbeiten haben und wollte ein Gefühl festhalten." "Dann handelt es sich also um eine allegorische Figur - um eine Darstellung, die für etwas anderes steht, als für sich selbst...!" Giovanni verliess mit diesem Gedanken das Atelier des jungen Freundes...
Kapitel XXXIII
" Illustrissima et Excellentissima Domina, ich, Aldo Manuzio Romano, stehe gern zu Ihren Diensten und schicke Ihnen die gewünschten Bücher Catulls und Petrarcas aus meiner bescheidenen Druckerei in Venezia ... anno 1504 ...etc.“ Stürmisch öffnete Isabella das Päckchen aus Venedig und schloss die Bücher in ihre Arme. Sie sollten einen besonderen Platz in ihrer Bibliothek einnehmen!
Schon über zweihundert Werke antiker Dichter zierten ihre Regale und nicht selten geschah es, dass ein Gelehrter aus Padua oder Mantua bei ihr um Einblick in ein Werk bat. Aber auch modernere Schriften, so das ‚Arcadia‘ von Jacopo Sannazaro, waren ihr ein Trost vieler einsamer Stunden, die sie ohne ihren Gatten am Hofe verbringen musste. Francesco war jetzt oft in Ferrara, da Federighino, wie Isabella ihren Sohn nannte, die Tochter des Cesare Borgia heiraten sollte und eine nahe Verwandtschaft zum Hause Borgia sich anbahnte - aber den eigentlichen Grund für Francescos Präsenz in Ferrara ahnte die kluge Kunstsammlerin längst.
Der Gelehrte Paride da Ceresara stand ihr Pate beim Entwurf für ein neues Bild: der Kampf zwischen Tugend und Laster, zwischen Keuschheit und Liebe. Minerva und Diana kämpfen gegen Venus und Amor. Es ging dabei mehr als um den Kampf zwischen himmlischer und irdischer Liebe! Es ging um ein christlich-philosophisches Prinzip, um den Kampf zwischen Moral und Anstand! Isabella setzte sich vor das Gemälde in ihrem studiolo und betrachtete verträumt die umbrische Landschaft des Meisters aus Perugina, Pietro Perugino.
Seit Juni des Jahres hing es nun schon neben den beiden grossartigen Werken Mantegnas, der mit seinem zweiten Werk hier, dem Vertreiben der Laster aus dem hortus conclusus , einen Massstab in Sachen Bildermoral geschaffen hatte. Was für eine göttliche Minerva, die zielstrebig zwischen der erstarrten Daphne und der Gruppe aufgeschreckter Nymphen zur Errettung der Tugend schreitet, welche im Gefängnis rechts von ihrem Garten auf ihre Befreiung wartete.
Und wer rettet sie ? Isabella war ganz angetan von dieser Bilderfolge zu Illustration ihrer Moralvorstellungen. Sie gedachte diese zu vervollständigen, vielleicht durch Lucrez' De rerum natura inspiriert als Tempel der Wissenschaften, in dem Literaten wie Musiker ihren Platz um sie herum einnehmen sollten, sie selbst als Gekrönte durch Anteros, gehalten von der Venus Celeste!....Plötzlich pochte es an der Tür.
" Excellentia , ein Maler bittet um Einlass zu einem
Weitere Kostenlose Bücher