Das Musterbuch (German Edition)
arbeitete, zurückkehrte.
Kapitel XXXV
Die Rialto-Zone, die Confraternità del Rosario di San Bartolomeo, für die der deutsche Künstler Albrecht Dürer ein grossartiges Werk geschaffen hatte, und der Fondaco dei Tedeschi waren ein beliebter Treffpunkt der Handelsleute aus dem Norden.
Der durch ein Feuer vernichtete Fondaco war wieder neu errichtet, und zwar nach dem Entwurf von Giorgio Spavento. Es war ein quadratischer Innenhof neu hinzugekommen, dessen Wände sowie diejenigen der Schauseite zum Canal Grande hin sollten mit Fresken bemalt werden. Giorgione war voller Enthusiasmus, als er die ersten Skizzen zu Papier brachte: Arabesken, Köpfe römischer Imperatoren, Maskarons - alles Figuren für den Innenhof. Die Fassadenseite zur Merceria sollte Tizian bemalen. Allegorien wie Justizia, Kampfszenen und deutsche Soldaten waren hierfür vorgesehen. Der Fries diente als Mahnung dafür, die Sicherung der Fondaco nicht zu gefährden. Und zur Canalseite hin malte Giorgione zudem Allegorien zur Astronomie und den Artes liberales. Er schöpfte dabei aus Quellen, die er damals für die Casa Marta-Pellizzari in Castelfranco benutzt hatte, gehörte die Astronomie doch zu seinen Lieblingsthemen. Er holte den Dialogus in astrologiae defensionem und das Divinus Tractatus Terrestrium et Celestium Trutina vom Mathematiker und Philosophen Giovan Battista Abioso aus Campanien hervor, beide Werke waren in Venedig gedruckt worden.
Der nunmehr zwanzigjährige Tizian liess sich derweil von den Schönheiten der Stadt inspirieren. Bekannte Kurtisanen dienten ihm als Modell für seine nackten allegorischen Gestalten: eine Justizia, die einer Judith glich und einem compagno della calza für die Südfassade. Im Gegensatz zu den stehenden, heroischen Figuren Giorgiones waren die Gestalten Tizians sitzend oder liegend dargestellt.
Giorgione betrat das Atelier, in dem Tizian seine Modelle skizzierte. "Lass sie mehr nach Fleisch aussehen! Nimm Farbe und du wirst sehen, dass du sie zum Leben erweckst!" Tizian liess sich vom älteren Kollegen belehren und malte fortan seine Modelle in natürlichen Posen und mit viel Farbe! So würden die Fresken von weitem erkennbar sein!
Die Wandfläche musste beim Freskieren von einem dünnen Kalkbewurf überzogen werden; erst beim Trocknen der mit Wasser angerührten Farben verbanden sie sich mit dem Kalk. Es musste darauf geachtet werden, nur solche Farben zu verwenden, die beim Gemisch mit Kalk nicht ihre Farbigkeit änderten. Der grösste Feind der Fresken war aber die Feuchtigkeit selbst - und so war absehbar, dass die Malerei am Fondaco ein schwieriges Unterfangen sein würde.
Bevor die beiden Maler die Umsetzung an der Fassade vornahmen, traf ein berühmter Künstler aus Florenz ein: Fra Bartolommeo, der Künstler aus dem Dominikanerkloster San Marco. Er war ein piagnone , ein Anhänger des fanatischen Mönches Savonarola gewesen, der im Jahre 1498 auf der piazza della Signoria verbrannt wurde. Zusammen mit seinem Freund Albertinelli hatte der Frate eine bedeutende Werkstatt in Florenz gegründet. Man sah ihn oftmals als Begleiter des alten Bellini durch die calle Venedigs schlendern, in Gespräche über Religion und Kunst vertieft. Für Fra Bartolommeo war vor allem die Landschaftsmalerei Bellinis vorbildhaft. Die Kunst der Giorgiones und Tizians war ihm hingegen fremd und zu modern.
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Sposalizio del mar - die 'Vermählung Venedigs mit dem Meer' war eine Zeremonie, die sich auf den Ursprung der Serenissima bezog. Demnach hatte der Doge zusammen mit seinem Gefolge von der rotgoldenen Galeere aus einen goldenen Ring ins Meer zu werfen und Gott zu bitten, die Seemacht Venedig zu erhalten.
Aber der Wachstum der Seemacht begann im 15. Jahrhundert ihre Bedeutung zu verlieren, der Handel mit dem Orient wurde langsam bedeutungslos. Dies bekam die vom langen Krieg gegen die Türken ruinierte Republik zu spüren. Nur bei den grossartigen Festen sparte das Volk nicht! Prachtvoll gekleidet schritten die Kaufleute und Patrizier über die Plätze, wer sich Luxus leisten konnte, der zeigte seinen Reichtum.
Nur in der Kunst musste man sparen! Die Fassade des Fondaco durfte nicht mit Masswerk verziert werden - lediglich bunte Fresken sollten das Versammlungsgebäude schmücken. Aber es gab Streit - mächtigen Streit, denn die 'Frontfassade des Fondaco dei Tedeschi, angefertigt von Meister Giorgio aus Castelfranco', wie es amtlich hiess, sei den geforderten Betrag von Dukaten 200 nicht wert!
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