Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)
lebend zurückkehrst.“
„Ich habe keine Ahnung“, Conrad hob die Schultern.
Wegelagerer hielten sich lieber an wehrlose Bauern oder
reiche Kaufleute. Bei fahrenden Rittern war meist wenig zu holen.
Es musste einen anderen Grund geben. War der Überfall gegen
ihn gerichtet? Wem konnte er im Wege sein, so weit von seiner Heimat entfernt?
Ihm fiel niemand ein, der ein Interesse an seinem Tod hätte haben können. Er
war nur ein unbedeutender Ritter aus einem nicht besonders vermögenden
Adelsgeschlecht.
Das Rittergut seines Vaters war klein. Die Burg, wenn man
sie so nennen wollte, bestand nur aus einem Wehrturm, der von einem Ringgraben
und einer Palisadenmauer umgeben war. Um den Turm herum gruppierten sich ein
paar mehr oder weniger baufällige Holzgebäude, unter ihnen die Ställe und die
Häuschen, in denen das Gesinde wohnte. Eine kleine Schmiede und ein paar
Handwerkerhäuschen vervollständigten das Anwesen. Die Befestigungsanlagen waren
eher dürftig, nur der massive Bergfried bot Schutz bei Angriffen.
Zum Rittergut gehörten mehrere kleine Dörfer, in denen seine
Vorfahren auf Geheiß Heinrich des Löwen aus dessen Herrschaftsgebiet Bauern
ansiedelten, vor allem aus Niedersachsen und Westfalen. Das Leben war hart und
auch als Adliger wurde man in diesen einsamen, dünn besiedelten Landstrichen
kaum reich.
Plötzlich schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. Vage konnte
er sich daran erinnern, dass von einem Pergament die Rede gewesen war. Immer
wieder hatten sie ihn nach diesem mysteriösen Schriftstück gefragt. War er
vielleicht das Opfer einer Verwechslung geworden?
Oder hatte der Angriff etwa gar nicht ihm, sondern seinem
Freund Sven gegolten? Das konnte er sich auch nicht vorstellen. Sven war noch
weiter von seiner Heimat entfernt als er selbst und hatte nie etwas von einem
Pergament erwähnt.
Ausgeschlossen war es jedoch nicht, dass der normannische
Ritter eine geheime Botschaft mit brisantem Inhalt bei sich trug. Er hatte Sven
erst während des Kreuzzuges kennen gelernt und wusste nicht viel von ihm. Ging
es womöglich um eine Verschwörung? Nein, dafür war sein Freund nicht der
richtige Mann. Sven war viel zu gradlinig und ehrlich, nicht verschlagen genug.
„Sie haben nach einem Pergament gefragt“, sagte er und
beobachtete dabei die Mine seines Freundes.
Diese zeigte jedoch nur ehrliches Erstaunen: „Was für ein
Pergament?“
„Ich habe keine Ahnung“, gab Conrad zu und zuckte mit den
Schultern. „Es schien den Kerlen ziemlich wichtig zu sein, denn sie haben mich
bis auf die Haut durchsucht. Als sie nichts fanden, vermuteten sie, ich hätte
es gelesen und vernichtet. Sie haben mich sogar gefoltert, um den Inhalt der
Botschaft zu erfahren. Daran kann ich mich genau erinnern. Aber ich konnte
ihnen nicht helfen, selbst wenn ich es gewollt hätte.“
Erschüttert lauschte Line dem Bericht Conrads. Bisher hatte
er noch nie ein Wort darüber gesprochen, was damals geschehen war.
„Sehr merkwürdig“, überlegte Sven laut.
„Wer weiß, vielleicht sind wir Opfer einer Verwechslung
geworden. Womöglich waren wir nur zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort.“
„Wie auch immer. Vielleicht werden wir es nie erfahren.“
Sven schaute nachdenklich vor sich hin und rieb sich die
Stirn.
„Es ging ihnen bes-timmt nicht um Lösegeld“, sinnierte er.
„Es wäre einfacher, sich eines Ritters aus der Gegend zu bedienen, oder noch
besser, eines Kaufmannssohnes aus einer reichen Familie. Deine Familie ist weit
weg von hier, es würde Wochen dauern, die Nachricht zu überbringen. Also
wollten sie etwas anderes, nämlich dieses mysteriöse S-hrifts-tück, dieses
Pergament.“
Eine Weile saßen sie stumm da, ließen den Weinkrug kreisen
und hingen ihren Gedanken nach. Aber so sehr Conrad sich auch den Kopf
zermarterte, ihm wollte nicht einleuchten, was die Ganoven gewollt hatten.
In die Stille hinein fragte Line plötzlich den normannischen
Ritter, ob sie sich sein Bein ansehen solle.
„Ich meine das linke Bein“, präzisierte sie, als sie seine
erstaunte Mine sah. „Die Wunde an Eurer Wade.“
„Ach, der kleine Kratzer“, wiegelte er ab.
„Sie ist eine Heilerin“, half ihr Conrad. „Sie weiß, was sie
tut. Also stell dich nicht so an. Ich habe auch gesehen, dass du humpelst.“
„Also gut“, gab sich der Hüne geschlagen, „wenn ihr meint.“
Er zog seinen linken Beinling hoch. Ein blutiger Verband um die Wade wurde
sichtbar.
Mit geschickten Händen entfernte Line den
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