Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)
Verband, der
teilweise an der Wunde klebte. Zum Vorschein kam eine klaffende Schnittwunde,
die sich bereits entzündet hatte.
Conrad zog scharf die Luft ein. „Wie ein kleiner Kratzer
sieht das aber nicht gerade aus.“
„Ich muss das faule Fleisch entfernen“, sagte Line bestimmt.
Ihre Schüchternheit war unnachgiebiger Entschlossenheit gewichen.
„Dann hast du also dein Vorhaben, mich aufzus-hlitzen, doch
noch nicht aufgegeben?“ Sven schien nicht sehr begeistert von der Idee.
Aber Line ließ sich nicht beirren. „Entweder Ihr lasst jetzt
mein Messer an Euer Bein, oder in ein paar Tagen hilft nur noch Eure Axt“,
sagte sie mit einem Blick auf die beeindruckende Waffe, die der Ritter in einem
Lederhalfter auf dem Rücken trug. „Dann wird der Wundbrand sich nämlich
ausgebreitet haben und das Bein muss ab, wenn Ihr nicht sterben wollt.“
Das überzeugte den Hünen schließlich und er ergab sich in sein
Schicksal.
Line füllte einen kleinen Eisenkessel, den sie aus den
Trümmern geborgen hatten, mit Wasser und hängte ihn mit Hilfe von drei Stöcken
über dem Feuer auf. Als das Wasser warm war, öffnete sie ihre Umhängetasche,
die sie immer bei sich trug, und entnahm ihr ein Leinentuch, mit dem sie
geschickt die Wundränder säuberte und den Schorf aufweichte. Dann förderte sie
ein kleines Tonfläschchen zutage. „Trinkt das.“
„Was ist das?“, fragte Sven skeptisch.
„Fingerhut, auch Schierling genannt.“
Erschrocken riss Sven die Augen auf „Gift!?“
„Ja, aber in kleinen Mengen ein gutes Schmerzmittel“,
erwiderte Line ungerührt. „Die meisten Arzneien helfen nur bei richtiger
Dosierung, viele können bei falscher Anwendung Schaden anrichten oder sogar
tödlich wirken.“
Der Ritter sagte nichts mehr, trank ergeben einen Schluck
aus dem Fläschchen und schüttelte sich.
Jetzt hielt Line ihr kleines, aber scharfes Messer in die
Flammen, dann hockte sie sich wieder neben Svens Bein und entfernte flink und
gründlich das bereits abgestorbene Fleisch an den Wundrändern.
Sven biss die Zähne zusammen, dass es knirschte, aber er
zuckte nicht ein einziges Mal.
Als Line fertig war, ließ sie die Wunde bluten, nahm ein
paar Kräuter aus ihrer Tasche und zerdrückte sie in ihrem Mörser. Mit ein
bisschen Wasser vermischt ergab das einen Brei, den sie auf die Wunde strich.
Danach verband sie das Bein mit frischen Leinenstreifen.
Conrad staunte, was sich alles in Lines Umhängetasche
verbarg.
Sichtlich erleichtert atmete Sven auf, als sie endlich
fertig war. „Die Kräuter werden verhindern, dass sich die Wunde erneut
entzündet“, sagte sie und stand auf. „Morgen sehe ich es mir wieder an.“
„Ist das eine Drohung?“, grummelte Sven. Aber dann rang er
sich zu einem Dank durch. „Du hast wirklich goldene Hände, Mädchen. Es tut
längst nicht mehr so weh wie vorher.“
„Das liegt an dem Schmerzmittel. Wenn es nachlässt, werdet
Ihr wieder Schmerzen haben, aber es wird schnell heilen.“
„Danke.“ Sven war erleichtert, dass ihm nun nicht mehr der
Verlust des Beines drohte, denn er wusste natürlich, wie gefährlich Wundbrand
war.
„Wohin wirst du jetzt gehen?“, fragte er Conrad
unvermittelt, „wirst du deinen Heimweg fortsetzen?“
„Ja. Aber selbst zu Pferde ist das ein weiter und
gefährlicher Weg. Wir werden zunächst nach Breuberg im Odenwald reiten, zu
einem Freund meines Vaters. Dort bin ich als Knappe ausgebildet worden, bis ich
die Schwertleite empfing. Er wird sich sicher freuen, mich wieder zu sehen.
Dort können wir den Winter verbringen und im Frühjahr weiterreisen.“
„Gut“, Sven war voller Tatendrang. „Brechen wir auf. Ich
habe nichts Besseres vor.“
Auch Line nickte. Ihr war alles Recht. Sie wollte nur bei
Conrad bleiben, dem einzigen Menschen, der ihr nach dem Tod Gretes geblieben
war.
Da im Haus nichts Verwertbares mehr zu finden gewesen war,
mussten sie schlecht gerüstet die Reise antreten. Sie hatten nicht einmal
genügend warme Kleidung für die Reise.
Vor ihrem Aufbruch wollte Conrad in der Nähe des Sees ein
letztes Mal nach den aufgestellten Fallen sehen. Mit etwas Glück war vielleicht
ein Hase hineingetappt. Er ließ Line mit Sven bei der verkohlten Hütte zurück
und machte sich zu Fuß auf den Weg.
Ohne Schwierigkeiten fand er die aufgestellten Fallen, die
allerdings alle leer waren. Enttäuscht zerstörte er sie. Dann trat er aus dem
Dickicht und stand auf der Wiese am See. Alles war friedlich, die Vögel sangen
und
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