Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)
sofort eifrig nickte.
„Ich werde dich lehren, meine Befehle zu missachten“,
donnerte Sven und trat mit Furcht einflößendem Gesicht auf ihn zu.
Die Bauern machten ihm Platz. „Wenn ich mit dir fertig bin,
wirst du dir wüns-hen, niemals geboren worden zu sein.“
Damit band er seinen geflochtenen Gürtel ab, der sich als
Peitsche entpuppte.
Die blaugrünen Augen des Jungen weiteten sich ängstlich beim
Anblick des finster dreinblickenden, riesigen Ritters mit der gefährlich
aussehenden Peitsche.
„Aber Herr“, wandte der Müller ein. „Auf Falschspiel steht
das Abhacken der rechten Hand!“ Die Meute scharrte sich enger um ihn. Sie
wollten Blut sehen.
Langsam drehte sich Sven zu dem vierschrötigen,
muskelbepackten Mann um.
„Was soll ich mit einem einarmigen Knecht?“, fragte er mit
hochgezogenen Brauen. „Ich werde ihm das Fell gerben, dass er fünf Tage nicht
mehr sitzen und liegen kann.“
Damit packte er den Jungen am Kragen und zerrte ihn vom
Tisch herunter, auf dem er noch immer festgehalten wurde. Niemand wagte, den
Ritter aufzuhalten.
In banger Erwartung schlug Line die Hände vor den Mund. Der
Junge war so mager, dass er keine zehn Schläge von einem Mann wie Sven
überleben würde.
Ohne sich um die Schaulustigen zu kümmern, schleppte Sven
sein Opfer am Kragen in den Nebenraum und schlug die Tür zu, vor der sich Conrad
breitbeinig aufstellte. Kurz darauf hörte man den ersten Hieb, gefolgt von
einem markerschütternden Schrei.
Die Männer um den Müller fühlten sich um das erwartete
Schauspiel betrogen, wagten aber nichts zu sagen. Nur der Müller murrte
halblaut.
Bei jedem Hieb zuckte Line leicht zusammen. Zwölf Hiebe
zählte sie, als es endlich still wurde hinter der Tür. Die Schreie waren immer
leiser geworden, bis der gequälte Junge nur noch stöhnte. Vielleicht war er
ohnmächtig geworden.
Line überlegte schon, den Wirt um Schmalz zu bitten, als
Grundlage für eine heilende Kräutersalbe, die sie anfertigen wollte. Kräuter
hatte sie unterwegs bei jeder Gelegenheit gesammelt und in ihrer Tasche
verstaut. Einige Pflanzen hatte sie zuvor bündelweise links und rechts an Hektors
Sattelknauf befestigt, um sie zu trocknen.
Sven lästerte bereits, Conrad röche wie ein Kräuterweib.
Aber Conrad störte das nicht. „Das riecht immer noch besser als ein Ritter nach
der Schlacht“, hatte er nur erwidert.
Den Wirt konnte Line nirgendwo entdecken. Nur die Schankmagd
stand am Kücheneingang und sah genau so blass aus, wie höchst wahrscheinlich
auch sie selbst.
Die vom Müller aufgestachelten Männer standen noch immer im
Gastraum und starrten auf die Tür, als könnten sie durch das dicke Holz sehen.
Der Müller grinste schadenfroh, als er sich die Szene im Nebenraum ausmahlte.
Die Schläge waren verstummt und die Schreie ebenfalls.
Wieder war es so ruhig geworden, dass Line ihren eigenen Herzschlag hören
konnte.
Die Tür öffnete sich und Sven trat heraus, den Jungen hinter
sich her zerrend. Er trug wieder das derb gewebte, etwas zu große Hemd, welches
die Striemen verdeckte. Aber schon färbte sich der graue Stoff mit Blut und
ließ die Schwere der Verletzungen ahnen. Der Junge war sehr blass und taumelte
hinter dem Ritter her. Er schien nicht bei vollem Bewusstsein zu sein.
Geistesabwesend starrte er vor sich hin und seine Beine schleiften hinter
seinem Körper her, so dass Sven ihn fast tragen musste, als er ihn zu ihrem
Tisch schleifte und ihn auf die hölzerne Bank fallen ließ.
Der Rotschopf sackte in sich zusammen und lehnte sich mit
dem Rücken an die Wand, um im nächsten Moment schmerzhaft zusammen zu zucken.
Er stützte sich mit den Unterarmen auf den Tisch und saß zusammengesunken wie
ein Häuflein Unglück da, die Schultern hochgezogen. Auf seinen Wangen waren
Tränenstreifen zu sehen, aber er gab keinen Laut von sich. Auf seinem Hemd
zeichneten sich jetzt deutlich blutige Striemen ab.
Mitleidvoll betrachtete Line ihn mit den erfahrenen Augen
der Heilerin. Als er kurz aufsah und ihre Blicke sich trafen, wunderte es sie
jedoch, in seinen hellen Augen weder Schmerz noch Trotz zu erkennen.
Der Junge, der nicht viel jünger als sie selbst sein
konnte, starrte völlig teilnahmslos vor sich hin. Es kam vor, dass der Körper
sich bei allzu großen Schmerzen schützte, indem er den Patienten in eine
erlösende Ohnmacht fallen ließ. Line hatte auch schon erlebt, dass Menschen
durch Verletzungen an den betreffenden Stellen gefühllos wurden und gar
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