Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)
Hose und Hemd gegen ein
einfaches Kleid getauscht und sank vor ihm in einen tiefen, beinahe anmutigen
Knicks.
Gaukler , dachte Conrad im ersten Moment. Wie gebannt
starrte er auf die unwirkliche Szene. Er wollte Antonio zur Rede stellen, ihn
anfahren, was diese Maskerade solle, aber er brachte keinen Ton hervor. Erst
nach einer ganzen Weile realisierte er langsam, was er sah: Antonio war ein
Mädchen.
„Mein Name ist Antonia“, sagte das Mädchen, das vor kurzem
noch ein Junge gewesen war, erhob sich und schenkte ihm einen koketten
Augenaufschlag.
Conrad traute seinen Augen und Ohren nicht. Eine Weile
brachte er keinen Ton mehr heraus. Wenn nicht die jungenhaft kurzen Haare
gewesen wären, hätte er in dem zierlichen Mädchen kaum seinen Reisegefährten
wieder erkannt.
„Wo hast du das Kleid her?“, fragte er etwas dümmlich, weil
ihm nichts Besseres zu sagen einfiel.
„Von der Köhlerin“, kam die prompte Antwort.
Conrad kam sich unglaublich dumm vor. Er wusste nicht, ob er
zornig oder erleichtert sein sollte. Line lächelte vor sich hin. Seit wann
wusste sie es?
Plötzlich wurde ihm manches klar. Deshalb hatte der
Bengel sich manchmal so merkwürdig verhalten. Er erinnerte sich an die
alberne, mädchenhafte Art, über die er sich oftmals gewundert hatte. Seine
Notdurft verrichtete Antonio immer allein, möglichst weit weg von den Anderen.
Auch zog er beim Waschen nie das Hemd aus. Über seine übertriebene Scham hatten
sich die beiden Ritter immer lustig gemacht und manches Mal gutmütig gespottet.
Nun wunderte Conrad sich darüber nicht mehr, ebenso wenig wie über die
schmächtige Gestalt und den nicht vorhandenen Bartwuchs.
Als sie zurück zum Köhlerhaus gingen, steckte Antonia ihm
etwas in die Tasche. „Ich glaube, das habt Ihr vorhin verloren, Herr Ritter“,
sagte sie so leise, dass nur er es hören konnte.
Conrad griff in die Tasche und spürte zu seinem Erstaunen
das Schleifenbad zwischen seinen Fingern. Als er Antonia ansah, zwinkerte sie
ihm verschwörerisch zu und kicherte.
Das war so typisch für ein junges Mädchen, dass Conrad sich
wunderte, wie sie ihn so lange hatte täuschen können.
Sie gingen zurück zur Lichtung und sahen schon von weitem
Svens hünenhafte Gestalt vor der Hütte stehen.
Conrad war auf das Gesicht seines alten Kampfgefährten
gespannt und wurde nicht enttäuscht. Svens Augen weiteten sich wie Mühlräder
und seine Kinnlade fiel ihm herunter, als er die Gruppe kommen sah.
Antonia blieb vor ihm stehen. „Bitte verzeiht mir, Herr“,
sagte sie und sank vor ihm nieder. „Aber ich möchte Euch nicht länger belügen.
Wie Ihr sehen könnt, bin ich nicht der, für den ich mich ausgegeben habe. Mein
Name ist Antonia. Ich wollte Euch nicht täuschen, aber als ich allein war,
beschloss ich, mich als Junge auszugeben. Sonst hätte ich nicht lange
überlebt.“
Sven starrte sie noch immer mit offenem Mund an und sagte
gar nichts.
„Ihr wart sehr gut zu mir“, sprach Antonia weiter, „dafür
möchte ich Euch danken. Auch wenn ich Euch enttäuscht habe, bitte ich Euch
doch, mich nicht fortzuschicken.“ Ängstlich sah sie den Ritter an, als versuche
sie, in seinem Gesicht zu lesen.
Nachdem er sich einigermaßen gefasst hatte, räusperte sich
Sven. „Warum sollte ich dich forts-hicken“, sagte er in seiner gewohnten,
knurrigen Art. „Du hast wohl vergessen, dass du mir noch was s-huldest?“
Antonia atmete sichtlich auf. „Danke“, hauchte sie und
strahlte Sven an, was diesen beinahe verlegen machte.
„Was sagt man dazu“, der Hüne schüttelte den Kopf, „das
Leben ist wirklich voller Überras-hungen. Eben hatte ich noch einen Diener, und
nun habe ich eine Magd.“
Er ging auf Antonia zu. „Es gehört eine Menge dazu, sich so
lange allein durchzus-hlagen. Du hast wirklich Mumm, Weib“, sagte er und hob
seine Pranke, um sie ihr anerkennend auf die Schulter zu schlagen.
Antonia versteifte sich und biss die Zähne zusammen, während
sie den Schlag erwartete, den sie als Junge schon einmal bekommen hatte
und der ihr schmerzhaft in Erinnerung geblieben war.
Aber Sven bremste den Schwung seiner Hand gerade noch rechtzeitig
ab und berührte sie nur leicht am Oberarm.
„Seit wann wusstest du es?“, fragte Conrad Line, die neben
ihm stand.
„Seit dem Tag, an dem ich die vermeintlichen Peitschenhiebe
behandeln wollte“, gab Line zu. „Ich habe ihr gesagt, dass sie sich Euch anvertrauen
soll, aber Antonia hat es nicht gewagt. Sie fürchtete,
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