Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)
beendet, entschuldigte
er sich und ging hinaus, um nach dem Meiler zu sehen, denn dieser durfte nicht
allzu lange ohne Aufsicht bleiben.
Da weder Line noch Antonio bisher wieder aufgetaucht waren,
beschloss Conrad, nach ihnen zu sehen. Auf der Lichtung war niemand außer dem
Köhler, der wieder an dem Meiler hantierte. Nicht weit von ihm lag friedlich
der Hund und sah nur einmal kurz auf, als er Conrad bemerkte.
Unentschlossen schlenderte Conrad über die Wiese, aber er
konnte die beiden jungen Leute nicht entdecken.
Von einem nahen Bach drang Wasserplätschern an sein Ohr.
Sicher fand er Line dort. Mit ein bisschen Glück konnte er sie vielleicht
allein sprechen. Conrad wollte jetzt endlich Gewissheit, ob sie mehr für ihn
empfand als für einen guten Freund. Selbst eine Enttäuschung war ihm inzwischen
lieber als die Ungewissheit.
Langsam näherte er sich dem Bach, der breiter war, als er
erwartet hatte, wobei er mit der rechten Hand das blaue Schleifenband in seiner
Tasche umklammerte, welches er Line heute endlich schenken wollte.
Wie ein silbernes Band schlängelte sich das kristallklare
Wasser zwischen den Bäumen hindurch. Als er näher kam, hörte er von rechts her
Stimmen und Lachen. Er ging darauf zu und stieß kurz darauf auf die Gesuchten.
Aber was er sah, versetzte ihm einen Stich.
Da er zwischen den Bäumen stand, wo es bereits dunkel war,
konnten Line und Antonio ihn nicht sehen, aber er sie. Die beiden jungen Leute
standen bis zur Hüfte im Wasser und alberten herum, während sie sich gegenseitig
bespritzten. Ihre jungen Körper schimmerten hell im Mondlicht. Antonio stand
mit dem Rücken zu ihm und da beide splitternackt waren, konnte er seine
schmalen Schultern und die dünnen Arme sehen. Was fand Line nur an diesem
schmächtigen Knaben?
Conrad wandte sich ab und wollte sich zurückziehen. Er
bereute, den beiden nachgegangen zu sein und verspürte plötzlich das Bedürfnis,
sich irgendwo zu verkriechen. Unglaublich albern kam er sich vor mit seinem
billigen Schleifenband in der Tasche. Er nahm es heraus und warf es achtlos in
den Wald.
„Wartet!“, hörte er plötzlich Line rufen, die ihn entdeckt
hatte.
Unschlüssig blieb Conrad stehen. Über sich selbst verärgert
stellte er fest, wie die Eifersucht an ihm nagte. Krampfhaft versuchte er, sich
nichts anmerken zu lassen. Schließlich war Line ihm keinerlei Rechenschaft
schuldig. Wenn er heimlich hoffte, er würde ihr etwas bedeuten, war das nicht
ihre Schuld.
Wenn er ehrlich war, musste er sogar zugeben, dass Antonio
besser zu ihr passte, auch wenn er etwas jünger war als sie.
Langsam drehte er sich um. Von Antonio war nichts mehr zu
sehen und Line war gerade dabei, ihr Kleid überzustreifen. Dann kam sie auf ihn
zu. Also wartete er, bis sie herangekommen war und atmete tief durch, um seine
Gefühle unter Kontrolle zu bringen.
„Was ich eben gesehen habe…“, begann er und konnte ein
Zittern in seiner Stimme nicht ganz verhindern, „…wie lange…?“
„Was habt Ihr denn gesehen?“, fragte Line zurück, als wolle
sie ihn necken. Unbekümmert lächelte sie ihn an.
Das verwirrte ihn vollends. Sie war nicht einmal rot
geworden. Wollte sie sich über ihn lustig machen? Fand sie es etwa völlig
normal, mit Antonio nackt im Wasser zu planschen? Sie musste doch wissen oder
zumindest ahnen, was er für sie empfand. Konnte sie so kalt sein? Nein, das
konnte er nicht glauben. Eher war er bereit, sie für völlig naiv zu halten. Wie
ein Kind, das nichts von Liebe wusste und daher auch nicht ahnte, wie sehr sie
ihn verletzt hatte.
„Ich habe genug gesehen, mehr als ich sehen wollte“, sagte
er kurz angebunden. Es sollte gleichgültig klingen, aber seine Stimme klang
heiser und brüchig wie die eines alten Mannes.
Jetzt lächelte Line nicht mehr. Ernst und forschend sah sie
ihn an.
Conrad räusperte sich. „Nicht dass es mich etwas anginge, ob
du und Antonio…“
„Ich glaube, Ihr habt nicht genau hingeschaut“, unterbrach
ihn Line und klang dabei eher belustigt als beschämt.
„Die Menschen sehen immer das, was sie sehen wollen“, sagte
plötzlich eine helle Stimme links neben ihm. Conrad wandte sich zur Seite und
sah Antonio aus dem Schatten der Bäume hervortreten.
„Verzeiht mir, Herr, dass ich Euch so lange getäuscht habe.“
Verblüfft starrte Conrad den Jungen an, dessen Stimme
plötzlich heller war als gewohnt. Er wusste weder, was Antonio meinte, noch was
er von dem halten sollte, was er sah. Antonio hatte
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