Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)
wieder auf den Weg machte. Während Conrad und Sven ihre Pferde ritten,
gingen Line und Antonio nebenher. Auch wenn Conrad sich einen Narren schalt,
konnte er seinen Unmut nicht unterdrücken, wenn er sah, wie vertraut die beiden
jungen Leute miteinander umgingen. Antonio erzählte spannende Geschichten aus
seinem Gauklerleben und Line hing förmlich an seinen Lippen.
Der Junge war nach eigenen Angaben nur ein Jahr jünger als
Line, aber seine Figur war noch sehr knabenhaft. Seine Schultern waren schmal,
seine Hände viel zu zart und noch zeigte sich kein einziges Baarthaar.
Mit seinen Gefährten hatte er die Menschen verloren, die
seine Familie gewesen waren. Das war es vielleicht, was ihn mit Line verband.
Das erste Mal im Leben kam Conrad sich mit seinen dreiundzwanzig Jahren alt
vor.
Kurz entschlossen glitt er vom Pferd und hob Line hinauf,
vorgeblich, damit sie sich eine Weile ausruhen konnte, während er Hektor am
Zügel führte. So hatte er nicht nur die Unterhaltung der beiden beendet,
sondern konnte seinerseits mit dem Jungen reden. Der Ritter hatte vor, ihm ein
wenig auf den Zahn zu fühlen, denn instinktiv spürte er, dass etwas mit dem
Burschen nicht stimmte.
„Wie hast du es eigentlich geschafft, allein zu überleben?“,
fragte er unvermittelt.
„Mit kleinen Vorführungen, Hilfsarbeiten aller Art und…“
Antonio sah ihn offen an, bevor er weitersprach: „…mit kleinen Gaunereien.“
„Kleine?“, hakte Conrad nach.
„Ich habe Essen gestohlen, manchmal auch ein Huhn“, gab der
Junge ohne zu Zögern zu.
„Ich werde dir eigenhändig die Hand abhacken, wenn du
versuchen solltest, uns zu bestehlen“, versicherte Conrad ihm mit finsterer
Mine. „Oder wenn du irgendwen bestehlen solltest, solange du mit uns zusammen
bist.“
„Aber Herr, Ihr habt mich aufgenommen. Ich bin jetzt der
ehrbare Diener eines Ritters und kein Hungerleider mehr. Ich würde freiwillig
meine Hand für Euch, Ritter Sven oder die Dame Line geben“, beteuerte der Junge
ernst und sah ihn offen an.
Je länger Conrad sich mit dem aufgeweckten Burschen
unterhielt, desto sympathischer wurde er ihm. Conrad musste zugeben, dass
Antonio ausgesprochen unterhaltsam war.
Gerade schilderte er überaus witzig, wie sich einmal des
Nachts in einen Hühnerstall schlich, um ein paar Eier zu stehlen. Dummerweise
war er nicht der einzige Räuber in dieser Nacht. Im Hühnerstall herrschte
bereits riesige Aufregung, weil ein Fuchs eingebrochen war. Als der aus dem
Schlaf gerissene Bauer auftauchte, sah dieser gerade noch, wie Antonio den
Fuchs mit seinem Stecken vertrieb. Dankbar bewirteten die Bauersleute daraufhin
den Retter ihrer Hühner und gaben ihm noch Brot, Käse und Schinken mit.
Sie lachten gemeinsam mit Line und Sven, die der Geschichte
ebenfalls neugierig gelauscht hatten.
Gegen Mittag befanden sie sich bereits im Odenwald, wo die großen,
alten Bäume kaum Licht auf den Waldboden fallen ließen. Nun war es nicht mehr
weit bis Breuburg.
Der Weg stammte noch von den Römern und war wegen der
Kaufmannszüge, die von Süden nach Norden und umgekehrt fuhren, relativ breit
und bequem. Wegen der unsicheren Zeiten ließen die Kaufleute es sich was
kosten, Reisige anzuheuern, um ihre wertvollen Waren, wie aus Italien
stammendes Glas, Salz, Gewürze und kostbare Tuche zu schützen.
In dieser Jahreszeit war jedoch kein Kaufmann unterwegs. Zu
groß war die Gefahr, im aufgeweichten Boden stecken zu bleiben oder die Flüsse
nicht passieren zu können, weil die Furten zu tief waren und die Fährleute
ihren Betrieb eingestellt hatten. Befestigte Straßen und Brücken gab es nur in
der Nähe größerer Städte.
Sven war ein Stück voraus geritten und sah sich misstrauisch
um, als witterte er einen Hinterhalt.
Auch Conrad wurde jetzt aufmerksam, konnte aber nichts
ungewöhnliches entdecken. Wer wagte es auch, einen Ritter in Begleitung eines
vermeintlichen Knappen, einer Magd und eines Knechtes anzugreifen. Die
Gewinnaussichten waren gering, denn reisende Ritter pflegten nur so viel Geld
mitzunehmen, wie sie unterwegs benötigten. Außerdem sorgte allein Svens Respekt
einflößende Erscheinung dafür, jeden Wegelagerer einzuschüchtern. Trotzdem war
es ratsam wachsam zu sein, denn dieser dichte Wald war geradezu perfekt für
lichtscheues Gesindel, das arglosen Reisenden auflauern wollte.
Im Falle eines Überfalls war es besser, wenn er auf seinem
Schlachtross saß und sofort kampfbereit war. Also half er Line wieder vom
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