Das mysteriöse Pergament 03 - Heimkehr (German Edition)
nicht mehr nach Hause finden. Unwillkürlich
sah sie zum wolkenlosen Himmel auf, wo tausende Sterne funkelten.
Der Stallbursche lachte. Er ließ sich nicht so leicht
abweisen. Antonia merkte, dass er sie unentwegt ansah, als wolle er ihr Gesicht
studieren.
Was wollte der Kerl von ihr? Warum flirtete er nicht mit
Tine, Maria oder Annika? Die waren allesamt viel hübscher als sie und vor allem
hatten sie weibliche Formen zu bieten, die bei ihr selbst kaum zu erkennen
waren. Mit ihren schmalen Hüften, dem kleinen, strammen Hintern und dem kaum
entwickelten Busen konnte sie da nicht mithalten, ganz abgesehen von ihrem
widerspenstigen Haar, das in alle Richtungen abstand.
„Was starrst du mich so an?“, fragte sie ruppiger als
gewollt.
„Ich starre nicht, ich studiere“, erwiderte Wenzel, nicht im
Geringsten gekränkt und musterte sie so intensiv, dass sie unruhig wurde.
„Was?“, fragte sie nervös, „was studierst du?“
„Deine Sommersprossen. Ich studiere das Muster deiner
Sommersprossen, sie ergeben ein Muster, wusstest du das? Es verrät mir viel
über dich. Ich versuche, mir das Muster einzuprägen, aber wenn du nicht still
hältst, ist es sehr schwer – siehst du, jetzt bin ich schon wieder raus.“
Vorwurfsvoll sah er sie an.
„Blödsinn“, sagte sie. Es sollte ärgerlich klingen, aber es
gelang ihr nicht, dem Burschen böse zu sein. Niemand schaffte das lange.
„Warum Blödsinn? Ich finde das sehr interessant.“
„Aber die Sommersprossen sind nicht nur im Gesicht…“,
Antonia brach ab und errötete. Warum hatte sie das gesagt? Warum ging sie auf
die Blödelei ein? Und nun grinste Wenzel auch noch hintergründig. Entrüstet
wollte sie aufstehen, davongehen und den aufdringlichen Kerl einfach stehen
lassen. Aber sie tat es nicht.
„Ich werde wohl viel Zeit investieren müssen – für meine
Studien“, sagte der unverschämte Kerl, als wäre es ihm ernst.
Antonia blitze ihn an. „Für Studien bedarf es eines
Mindestmaßes an Intelligenz, du aber hast, wie mich dünkt, nur Stroh im Kopf.“
Sie benutzte mit Absicht eine Formulierung, die eher eine
Edeldame als eine Magd gebraucht hätte.
Aber auf Wenzel schien das wenig Eindruck zu machen. „Mir
wächst es wenigstens nicht aus dem Kopf heraus“, konterte er schmunzelnd und
betrachtete ihren wirren Haarschopf, der durch keine Haube zu bändigen war.
Antonia musste einmal tief durchatmen, um nicht zu
explodieren. Das Schlimme war, dass der Vergleich durchaus zutreffend war.
„Muss Geronimo noch lange arbeiten?“, fragte sie
schließlich, um das Thema zu wechseln und ihm zu zeigen, dass sie nur auf ihren
Bruder wartete.
„Er ist dabei, den Stall auszumisten. Danach hat er frei –
aber er wird nicht gut riechen.“
„Dafür redet er nicht so viel Unsinn.“
Wenzel lachte und ließ sich nicht ärgern. Antonia vermutete
sogar, dass er solche Augenblicke genoss. Sie war die Einzige der Mägde, die so
mit ihm sprach. Alle anderen himmelten ihn nur an und schmolzen dahin, wenn er
sie ansprach und ihnen ein Kompliment machte. Dann kicherten sie albern und
erröteten züchtig.
So wie er in der Nähe war, wiegten sie ihre Hüften mehr als
nötig und benahmen sich übertrieben albern, um auf sich aufmerksam zu machen.
„Eine geruhsame Nacht, Strohköpfchen“, sagte Wenzel und
verbeugte sich galant, „träum von mir, holde Jungfer.“
„Das ist nicht nett von dir, mir Alpträume zu wünschen“, gab
sie bissig zurück.
Der Stallbursche verschwand lachend in der Dunkelheit.
Wieder allein wollte Antonia gerade aufatmen, als ihr jemand
auf die Schulter tippte. Sie schreckte zusammen, fuhr wütend herum und wollte
dem unverschämten Kerl eine Maulschelle verpassen. Zu spät erkannte sie, dass
es nicht Wenzel war, der sie ärgern wollte. Vor ihr stand der kleine, schwarz
gekleidete Gelehrte, der mit einer blitzschnellen Bewegung ihre Hand abfing.
„Oh!“, entwich es dem Mädchen und sie wollte aufspringen,
aber der Mann drückte sie sanft zurück auf die Bank und setzte sich einfach
neben sie. Dabei hielt er seinen Zeigefinder an den Mund, um ihr zu bedeuten,
leise zu sein. „Ich bin es“, raunte er, „Li Chan.“
Antonia riss die Augen auf. Natürlich, deshalb war er ihr so
bekannt vorgekommen. „Warum die Verkleidung?“, fragte sie ebenso leise.
„Nicht viel Zeit, hör zu. Ich haben Botschaft für Herrin
Constance“, entgegnete er. „Ich nicht komme ungestört in ihre Nähe. Deshalb sie
muss werden krank und rufen
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