Das mysteriöse Pergament 03 - Heimkehr (German Edition)
zurück.
Noch am selben Abend, nach Einbruch der Dunkelheit, kam
Antonia zusammen mit einer jungen Frau zu Wenzel ins Zelt. Die beiden
Waffenknechte waren heute Abend zum Wachdienst eingeteilt, so dass er bis
Mitternacht allein war.
„Das ist Line“, stellte Antonia ihre Begleiterin mit den
langen schwarzen Haaren vor, die ihn interessiert musterte.
Sie war wirklich eine Schönheit, musste Wenzel zugeben.
Dennoch hatte er nur Augen für Antonia, die ihm plötzlich noch begehrenswerter
erschien als vor ihrem ersten Kuss.
Heute senkte sie nicht verlegen den Blick, sondern sah ihn
offen an. Deutlich spürte er, dass sich etwas zwischen ihnen verändert hatte.
Etwas verlegen zog Wenzel sein Hemd über den Kopf und zeigte
der jungen Heilerin seinen Rücken.
„Die Striemen sind gut verheilt“, stellte Line sachlich fest
und bestrich den Rücken mit einer fettigen Tinktur. „Das wird unschöne Narben
verhindern“, sagte sie mit wohltuend beruhigender Stimme, „dann wird man die
Striemen später kaum noch sehen.“
Wenzel bedankte sich höflich und zog sein Hemd wieder
herunter, obwohl es ihm ziemlich egal war, wie sein Rücken später aussehen
würde. Die junge Frau lächelte ihn an und schlüpfte aus dem Zelt.
„Du hast nicht übertrieben“, sagte Wenzel, „sie ist wirklich
eine Schönheit. Als du von ihr erzähltest, hast du das nie erwähnt. Ich hatte
sie mir ganz anders vorgestellt.“
„Hast du eine alte Kräuterhexe erwartet?“ Antonia ärgerte
sich über sich selbst. Als sie beobachtete, wie Wenzel Line ansah, hatte es ihr
einen Stich versetzt. War sie etwa eifersüchtig?
„So ähnlich“, gab Wenzel zu und lachte.
„Neben ihr komme ich mir unscheinbar und hässlich vor.“
Antonia senkte den Kopf.
„Unscheinbar? Du? In einer Gruppe junger Mädchen wirst du
immer herausstechen und alle Blicke auf dich ziehen.“
„Sicher“, sagte sie sarkastisch, „es gibt ja auch kaum ein
anderes Mädchen mit solchen Strohhaaren.“
„Eben“, Wenzel ließ sich nicht beirren, „es gibt kein
anderes Mädchen mit so einer frechen, kleinen Stupsnase, solchen hellen
wasserblauen Augen und dem Haarschopf, der ebenso unbändig ist wie du selbst.“
Dabei sah er sie so liebevoll an, dass sie augenblicklich
dahin schmolz.
„Nimmst du mich auf den Arm?“, fragte sie skeptisch. Noch
immer hatte sie Angst vor ihren eigenen Gefühlen, in denen sie zu ertrinken
drohte.
„Wenn du es willst“, entgegnete er leichthin, „aber ich
würde dich viel lieber in den Arm nehmen.“
Antonia hatte sich schon halb zum Zelteingang gedreht. Jetzt
wandte sie sich wieder um und sah ihm in die Augen. Sie waren allein im Zelt.
Entschlossen ging sie auf Wenzel zu und nestelte nervös an den Verschnürungen
ihres Kleides.
„Was tust du?“, fragte er heiser. Ungläubig starrte er das
Mädchen an.
„Du wolltest doch meine Sommersprossen studieren“, gab sie
zurück. Dann schlang sie die Arme um seinen Hals, während ihr das Kleid langsam
von den Schultern glitt.
Weder die Waffenknechte noch jemand Anderer ließen sich
heute Abend im Zelt blicken. Antonia und Wenzel waren völlig ungestört.
XV
Der Ausfall
Heuertmond Anno 1230
Es war nach Mitternacht, als Antonia und Wenzel plötzlich
hochschraken. Von Draußen war Lärm zu hören.
„Was ist da los?“, Wenzel sprang auf und wollte aus dem Zelt
stürmen, aber Antonia hielt ihn zurück. „Warte, du hast doch nicht einmal eine
Waffe.“
Pferde galoppierten am Zelt vorbei, Männer schrien, Befehle
wurden gebrüllt. Durch den schmalen Zeltschlitz sahen sie Schatten
vorbeihuschen.
„Wir werden angegriffen“, Wenzel war blass geworden.
Schnell zogen sie ihre Kleider an. Dann rochen sie Rauch.
„Feuer“, rief Antonia, „irgendwo brennt es.“
„Das Zelt brennt!“, rief Wenzel. Im selben Moment brach die
Hölle los. Die Zeltbahnen standen im Nu in Flammen, eine Zeltstange fiel um und
die beiden rannten ins Freie.
Männer mit brennenden Fackeln ritten durch das Zeltlager,
alles stand in Flammen. Kampfeslärm war um sie herum, halb bekleidete Männer
mit Schwertern und Pieken in der Hand rannten aus den Zelten, es herrschte ein
unbeschreibliches Chaos.
Antonia und Wenzel konnten im flackernden Feuerschein
gepanzerte Reiter erkennen, die auf das Zentrum des Lagers zuhielten. Kurz
darauf hörten sie den gellenden Schrei einer verzweifelten Frau, der plötzlich
verstummte.
Dort musste Constances Zelt stehen, schoss es Antonia durch
den Kopf. Sie
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