Das Mysterium der Zeit
feindlichen Schiffe, um sie zu zählen. Niemand entdeckte ihn.«
Der ganzen Gruppe entfuhr ein Murmeln des Erstaunens über die tollkühne Unternehmung.
»Schade nur, dass er sich verrechnet hatte«, fuhr der Statthalter fort. »Er hatte die fünfzig Galeeren der venezianischen Flotte übersehen, die hinter einer Landzunge lagen. So beschlossen die Osmanen, in die Schlacht zu ziehen und verloren, und Karagöz wurde in Lepanto auf seinem Schiff wie ein Hund mit einer Arkebuse erschossen, haha!« Lachend verlangte Kemal nach mehr Wein.
Wir lachten alle, da der Name gefallen war, der die berühmte Niederlage der osmanischen Flotte bezeichnete. Sie wurde im Jahr des |268| Herrn 1571 bei Lepanto von den christlichen Flotten vernichtend geschlagen, woran Barbello schon erinnert hatte, als wir noch Gefangene der Korsaren waren und über den Koran und die Muttergottes diskutiert hatten.
Ein weiterer Donner ertönte krachend in der Nähe, doch dieses Mal taten wir, als hätten wir nichts gehört, da diese Beispiele von Freibeutermut uns empfindlich in unserer Ehre trafen.
»Oder nehmt die Kühnheit von Cociuc Jusuf.« Kemal war nicht zu bremsen. »Auch er ein italienischer Überläufer, geboren und aufgewachsen in Kalabrien. Als er auf seiner Galeere mit dreiundzwanzig Ruderbänken nach Capo Passero unterwegs ist, sieht er eine Handelsfregatte und fängt an, sie zu verfolgen. Doch er gerät in einen Hinterhalt von zwei verdammten Galeeren der Malteser unter dem Kommando des berühmten Romegas. Die Malteser sind in der Überzahl, Cociuc wendet und flieht, aber die beiden verfolgen ihn die ganze Nacht und noch am nächsten Morgen. Schließlich bricht der Mast seiner Galeote, und was tut Cociuc? Er wendet noch einmal, wirft sich gegen die nächste maltesische Galeere und entert sie. Männer, das ist Mut! Schreiend, eine Pike in der Hand, klettert er auf die Galeere, doch sie schießen sofort. Er fällt mitten zwischen die maltesischen Ruderer, die ihn mit den Zähnen zerreißen, sodass vom ganzen Cociuc am Ende nur ein, zwei Stückchen übrigbleiben.«
Die letzte Information verdarb uns den Appetit.
»Hier sind wir in den Gewässern der Toskana«, hub Kemal wieder an, »wo vor vier Jahrhunderten, als Genua und Pisa sich gegenseitig ausbluten ließen, Guglielmo il Porco umherfuhr, der Alptraum der Pisaner, ein Korsar, der Schiffe enterte wie ich mir die Haare am Arsch kratze, und immer als Erster auf das feindliche Schiff sprang, mit bloßen Händen.«
»Pirat, pass auf, wie du dich ausdrückst«, tadelte ihn Schoppe mit einem Blick auf Barbello und dich, die ihr beide erbleicht wart bei den grausamen Schilderungen und groben Worten.
»Warum denn? Das sind doch keine Weiber … ach so, ich verstehe, verzeiht!« Er lachte dreckig. Er beleidigte die Kastraten und damit auch dich. Ich warf ihm einen flammenden Blick zu, und er verstummte.
»Unser guter Secretarius kann offenbar recht effizient sein, wenn es nottut«, bemerkte Guyetus, während Barbello mich dankbar anblickte, wie mir schien.
|269| »Aber niemand hat je so viel Mumm bewiesen wie der einzige Kommandant, den ich so gut kenne wie mich selbst: Ali Ferrarese«, fuhr Kemal in gemäßigterem Ton fort. »Als die Schiffe des Vizekönigs von Neapel seine Galeote aufbrachten und er erkannte, dass es zu Ende war und man ihn gefangen nehmen würde, stürzte er mit einer Fackel in die Pulverkammer, um das ganze Schiff explodieren zu lassen und sich selbst auch, denn die Freiheit ist wichtiger als das Leben. Doch gerade in dem Moment kamen zwei Männer des Vizekönigs, die wussten, wozu er fähig war, und hielten ihn auf.« Dann fügte er hinzu, die Augen weit aufgerissen und die Stimme gesenkt, als würde er uns ein großes Geheimnis anvertrauen: »Keiner, vergesst das nicht, keiner hat je so viel Mut gehabt wie dieser Bastard Ali Rais, und ich soll verflucht sein, wenn es auf dieser Seite des Grabens jemanden gibt, der den Tod so verachtet wie er.«
»Was mag aus dem Mädchen geworden sein?«, fragtest du, um das Thema zu wechseln.
»Muchacha andar in foresta und trovar Fungus, aber Fungus zu groß et muchacha hat viel Arbeit, haha.« Mustafa lachte herzhaft über seinen obszönen Witz.
»Sei still oder ich bring dich um!«, knurrte der Statthalter und stieß seinem Kumpan mit dem Ellenbogen in den Bauch.
Ein weiterer Donnerhall, vom gespenstischen Licht des Blitzes angekündigt, setzte der Diskussion ein Ende und überzeugte die ganze Gruppe, dass es höchste Zeit
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