Das Mysterium der Zeit
deren Werke in der Vatikanischen Bibliothek verwahrt werden. Eine heikle Aufgabe, es handelt sich um Georgios Synkellos und Theophanes, antike Chronologen, die die Weltgeschichte von der Schöpfung bis zum Ende des Römischen Reiches erzählt haben.
|330| Der Bibliothekar der Barberini, Lukas Holste, hatte darum gebeten, die Ausgabe der Schriften von Synkellos und Theophanes betreuen zu dürfen, doch Kardinal Francesco Barberini übertrug Bouchard die Aufgabe, weil dieser besser ausgebildet und scharfsinniger war.
Bei seiner Ankunft in Italien hatte Bouchard nur die Briefe der Tonsur besessen, die erste Stufe kirchlicher Würden. Er hat Karriere gemacht, nun ist er der Abt Bouchard. Jeden Abend geht er nach St. Peter, um dem Papst die Ergebnisse seiner Arbeit zu präsentieren. Diese Begegnungen dauern bis drei, vier Uhr nachts an, denn der Papst ist selbst ein hochgelehrter, feinsinniger Gräzist. Man flüstert, Bouchard habe interessante Entdeckungen gemacht, die die Geschichte und die Literatur des Altertums revolutionieren könnten. Doch Bouchard achtet sorgsam darauf, dass nichts durchsickert. Er will seine Entdeckungen erst veröffentlichen, wenn seine Forschungen abgeschlossen sind, dann, so verspricht er, werden alle davon erfahren.
Aus Paris erhält Bouchard jedoch beunruhigende Signale. Bei einstigen Gönnern, wie den Gebrüdern Du Puy, ist er in Ungnade gefallen. Einige anerkannte Gelehrte, bekannte Namen in Paris (Balzac, Chapelain), nennen ihn einen Karrieristen, Parasiten und Intriganten, aber sie können nichts beweisen. Vielleicht ist es nur Neid.
In Rom vernimmt man zwar das Echo des Pariser Klatsches, aber es überwiegt die Achtung vor dem, was er ist und kann. Ihn schützen seine Bildung und seine ungewöhnlichen Fähigkeiten als Philologe.
Für die Barberini ist er zum
arbiter artium
geworden, zum Meister der Künste: Freuden, die zur Lehre werden, die klug dosiert werden müssen. Als die Barberini ein Chamäleon als Geschenk erhalten, obliegt es Bouchard, das exotische Tier spazieren zu führen und den Grüppchen staunender Ordensschwestern zu präsentieren. Und wenn ein Botschafter zu Besuch in Rom ist, muss er ihm die Schönheiten der Stadt zeigen.
Auch sein gesellschaftlicher Erfolg in Rom ist ungebremst: Im Hause Barberini will man zum Karneval eine Komödie auf Latein geben, die Vorbereitung liegt in seinen Händen. Es ist eine große Sache, die
Troerinnen
von Seneca sollen vertont und als musikalisches Werk aufgeführt werden. Den musikalischen Teil verantworten Virgilio Mazzocchi und Gian Battista Doni, Namen, die jeder kennt, während Bouchard, der Kenner der antiken Welt, das gesamte Konzept des |331| Schauspiels erarbeiten soll. Die Töne müssen sich, den alten hellenischen musikalischen Modi folgend, mit der antiken Dichtung verbinden. Die
Troerinnen
sind ein Lieblingsstück der Starken Geister, der heimlichen Ungläubigen, der Gladiatoren des Skeptizismus. Die Tragödie enthält berühmte Verse, die jeder Starke Geist liebend gerne als Schmähung in ein Schauspiel einfügen würde, das vor dem Papst aufgeführt wird. Es ist der berühmte Chor, in dem Seneca predigt, dass die Welt nur ein sinnloses Chaos ist und die Seele, wie Naudé im Padua des berüchtigten Cremonini hatte flüstern hören, sterblich:
Ist Vernichtung im Tod? – Wenn mit dem letzten Hauch
Unsre Seele verweht, wenn sie zerrinnt in Luft,
und wie Nebel verfliegt, endet das Daseyn dann? –
Mehr als leblosen Rumpf zehrte der Leichenbrand?
Was am Aufgang die Sonn, was sie am Niedergang
Schaut, was des Oceans bläuliche Wog umspült,
Wenn sie ebbend sich senkt, oder in Fluth erschwillt,
Das mit flüchtigem Schritt alles entrafft die Zeit.
Wie dort kreisenden Laufs wirbelt das Zwölfgestirn,
Wie das Königsgestirn rollet der Zeitenstrom,
Wie auf schlängelnder Bahn Hekate niedereilt:
So auch taumeln wir all unserem Ende zu.
Der lebt nimmer, der ihn jetzmahls, des Göttereids
Furchtbar’n Bürgen berührt hätte, den Strand des Styx.
Wie der Rauch schnell verfliegt über der hellen Glut,
Wie des nördlichen Sturms jache Gewalt zerreißt
Wetterschwang’res Gewölk, das wir noch eben sah’n:
So zerrinnt der Geist, welcher uns hier belebt.
Ja, der Tod ist auch Nichts, ist nur die äußerste
Mark des engen Bezirks, der uns bemessen ward. –
Eure Hoffnung ist Schaum, die ihr da wünscht und strebt;
Und die sorgend ihr zagt, Schaum nur ist eure Furcht.
Fragst, wo du nach dem Tod wohnen wirst?
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