Das Mysterium der Zeit
Vor zwei Jahren hatte dein in Venedig bei der
Finta Pazza
so gut erprobtes Talent dir am französischen Hof den nächsten Triumph gesichert. Die Königinmutter Anna von Österreich hatte dir eine fast schamlose Gunst gewährt, als sie dich abends in ihrem Schlafgemach singen ließ. Jetzt ließ Mazarin |55| dich und andere Musiker erneut in Frankreich tirilieren und hatte befohlen, euch das komfortabelste Schiff zur Verfügung zu stellen, wenn nötig sogar ein Kriegsschiff.
Die Brust schwoll dir vor Stolz bei dem Gedanken, dass der große Jules Mazarin, einst Giulio Mazzarino, jener feinsinnige Doktor der Rechte mit sizilianischem Blut, dem es ungeachtet seiner bescheidenen Geburt in einem kleinen Ort der Abruzzen gelungen war, Herrscher von Frankreich und Geliebter der Königinmutter zu werden, wieder nach dir verlangte. Ja, er ließ dich sogar holen, um seinen kühnsten Plan zu verwirklichen: Ohne eine geeignete Oper in der Hand zu haben, wollte er den italienischen Stil auf französischem Boden durchsetzen, obwohl Frankreich der glänzendste, vollkommenste und erbittertste Feind des italienischen Geschmacks war.
Du warst in guter Gesellschaft, vor allem mit Malagigi, deinem zweiten geliebten Maestro der vergangenen Monate in Rom und dem besten Sänger unter allen Kastraten der Ewigen Stadt. Ach, Malagigi! Er war elf Jahre älter als du, und – bei Gott! – du liebtest ihn wie jeder Schüler seinen wahren, großen Meister liebt.
Mit eben vierzehn Jahren, unreif wie ein Frühäpfelchen, hatte er Bewunderung erregt, als er unter der Leitung des großen Monteverdi auf der Hochzeit Medici-Farnese sang, der prächtigsten Hochzeitsfeier, die man je in der Toskana sah. Die Damen waren fast in Ohnmacht gefallen, als sie die süße, aber feste Stimme dieses göttlichen Putten hörten, der unerschütterlich wie ein Engel, dem die Dinge dort unten gleichgültig sind, vor den mächtigsten Herrschern Italiens auf der Bühne stand. Sieben Jahre später, beim Karneval in Rom, hatte er sich dank der maßlosen Gunst, die ihm Kardinal Antonio Barberini gewährte, der Neffe Seiner Heiligkeit, beim großen Sängerwettstreit zu Ehren des Prinzen von Polen mit Ruhm bedeckt und viele Neider geschaffen. Triumphierend war er in den prachtvollen Palazzo Magalotti eingezogen, auf dem allegorischen Karren des Ruhms stehend, den ein gewaltiger Adler zog, und gekleidet in einen äußerst exotischen, bizarren Umhang aus goldenem Brokat, der über und über mit unzähligen Augen, Ohren und Mündern bestickt war. Auf dem Rücken trug er riesige Engelsflügel, in der Rechten hielt er eine Bucina, mit der Linken segnete er das Publikum. Pasqualini wirkte stets wie eine himmlische Erscheinung, und wenn er die hohen Töne nicht erreichte, lenkte er die Zuhörer mit Rezitationen ab, denn er konnte Menschen, |56| Tiere oder Engel wirklichkeitsgetreuer darstellen als sie in der Wirklichkeit erscheinen. Für jeden, der etwas von Musik und wahrer Kunst verstand, war Pasqualini halb Mensch, halb Legende. Alle Damen lagen ihm zu Füßen, mit Billigung ihrer Ehemänner, die von einem Kastraten nichts zu befürchten haben, und das kam dem unverbesserlichen Weiberheld Kardinal Barberini sehr gelegen, da er dank der tüchtigen Mittlerdienste Pasqualinis in die Betten aller römischen Mädchen schlüpfen konnte, ohne dass ihre Familien etwas erfuhren.
Es heißt, dass der Kardinal ihn vor einigen Jahren von dem Maler Andrea Sacchi porträtieren ließ. Auf diesem unvergleichlich schönen Bildnis empfängt Pasqualini von Apoll persönlich den Lorbeerkranz, was der höchsten Verherrlichung überhaupt gleichkommt. Nur für ihn ließ der Kardinal ein Schauspiel schreiben, den durch Ariost inspirierten
Palazzo Incantato
, ein Stück, in dem Pasqualini Furore machte und die Römer schwarz vor Hass und gelb vor Neid werden ließ. Denn bei der Auswahl der Musiker, Komparsen und Bühnenbildner konnte er nach Gutdünken schalten und walten, und Macht wird in Rom zwar umworben, unumschränkte Herrschaft aber gehasst. Die sublime Musik des
Palazzo Incantato
ließ er deinen anderen Lehrer Luigi Rossi schreiben. Doch bei der Premiere versagte die gesamte Bühnenmaschinerie, und der Abend wäre fast zu einer Farce geworden, wenn Pasqualinis Stimme und seine Sprechkunst, Gott ist mein Zeuge, ihn nicht gerettet hätten. Von da an nannten ihn alle Malagigi, nach einer der Figuren, die er an jenem Abend gespielt hatte: ein zauberkundiger Cavaliere, der Dämonen in Schach zu
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