Das Mysterium der Zeit
hatten wir weder Fackeln noch andere Möglichkeiten, Licht zu machen. Ich erbot mich, den Kundschafter zu spielen und tappte im Dunkeln voran, bis ich das schwache Licht sah, das vom nächsten Gitter herrührte. Dort angekommen, spähte ich nach draußen und sah, dass wir, wie erhofft, die fatale Schlucht hinter uns gelassen hatten. Weiter vorn erblickte man noch mehr schwache Lichtscheine, offenbar gab es in regelmäßigen Abständen vergitterte Öffnungen. Wer mit Hilfe der natürlichen Höhlen Gorgonas diesen sicherlich noch bis vor kurzem genutzten Geheimgang gebaut hatte, war so intelligent gewesen, in bestimmten Abständen diese Öffnungen zur Außenwelt anzulegen, die Licht, Luftzufuhr und Orientierung ermöglichten. Ich ging zurück und verkündete die gute Nachricht. Schon bald konnte ich unsere aufgeriebene, versprengte Mannschaft, die so viele unglückliche Abenteuer hinter sich hatte, weiterführen.
Zum Glück gab es in den Tunneln keine Hindernisse, an denen man sich verletzen konnte, natürlich strauchelte man hier und da, doch die Wanderung ging geordnet voran, beträchtlich erleichtert durch die regelmäßig |595| auftauchenden Gitter, die nur zum Teil von der Vegetation verdeckt wurden.
Naudé war ein wenig zurückgeblieben; unter dem Gewicht seiner Tasche aus festem Leder, in der er die Kopie der Gutenbergbibel transportierte, kam er nur langsam voran. Wenn ich mich nach ihm umschaute, sah ich ihn angestrengt durch das Dunkel spähen, als suchte er etwas. Und schließlich fand er es:
Der Bibliothekar konnte ein aufgeregtes Stöhnen nicht zurückhalten.
»Geht es Euch gut, Monsire Naudé?«, fragte ich.
»Ja, das heißt nein, ich meine, könntet Ihr einen Augenblick kommen, Signor Secretarius? Ich brauche Hilfe, mir scheint, in die Bibel des Kardinals ist etwas Erde eingedrungen …«, stammelte er.
Ich begriff blitzschnell und kehrte zu ihm zurück.
»Geht ruhig weiter«, sagte ich, der Gruppe mit einem Wink bedeutend, sie solle sich von Kemal führen lassen. »Wir kommen gleich nach.«
Du, lieber Atto, liefst neugierig herbei, doch als du sahst, dass es sich um einen der üblichen Zettel und die Karte von Philos Ptetès handelte, die Naudé sofort hervorgezogen hatte, kehrtest du mit einem resignierten Augenrollen zu den anderen zurück – diese Schatzjägerei erschien dir immer noch lächerlich.
»Ich habe ihn auf dem Boden gefunden«, flüsterte Naudé erregt, nachdem er sich vergewissert hatte, dass die anderen weit genug entfernt waren. »Was für ein Glück, dass ich ihn nicht übersehen habe! Oh, Philos Ptetès, diesen Zettel hier unten zurückzulassen, ist vielleicht deine letzte Tat gewesen, bevor dein Leben endete! Armer Mann, er wird dieses Stück Papier hier fallengelassen haben, nachdem die Banditen ihn aus der Grotte des Seeochsen geholt und dann ein Stück durch diesen Tunnel geschleppt hatten. Wer weiß, wie viele Buchstaben des Alphabets er insgesamt auf dieser Insel verstreut hat? Vielleicht werden wir es nie erfahren, aber das macht nichts, denn, in |596| aller Bescheidenheit, ich bin ein geschickter Kryptograph und mit ein bisschen Findigkeit und Glück …«
»Heda, ihr beiden Nazarener, seid ihr über eurer Bibel eingeschlafen?« Der Korsar war zurückgekehrt, um zu sehen, was wir machten. Zwar haben die Barbaresken keinerlei Achtung vor dem Leben anderer, doch an unserer heilen Haut war ihm durchaus gelegen.
Wir stießen wieder zu der Gruppe. Unterwegs erklärte ich dem Statthalter, dass dieser unterirdische Gang angelegt worden sein musste, um im Falle einer feindlichen Invasion auf die andere Seite der Insel zu gelangen. Anfangs hatte er sicher aus einer natürlichen Höhle bestanden wie jener, durch die wir bis zur Grotte des Seeochsen gelangt waren. Nicht zufällig hatten wir dort zahlreiche Abzweigungen entdeckt, und es war nicht auszuschließen, dass sie mit dem Stollen verbunden waren, durch den wir gerade gingen.
Der Korsar war begeistert über diese Entdeckung.
»Teufel auch, hier könnte sich ja die Mannschaft eines ganzen Schiffes von Ali Rais verstecken, wenn man diese Feiglinge, die Ruderer, bis hierhin verfrachten könnte. He, ihr dort hinten, geht es endlich weiter?«
Mittlerweile hatten sich alle trotz des spärlichen Lichts mit der neuen Umgebung vertraut gemacht. Wir wechselten uns bei der Führung der Truppe ab und kamen recht zügig voran. Dann ergriff Kemal die Ruder des Vormarsches, er konnte es kaum erwarten, ins Freie zu
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