Das Mysterium der Zeit
Brandschiff, kam dir der erste sehr vage Verdacht. Natürlich richtete er sich nicht gegen mich, du hast einfach gewittert, dass etwas nicht stimmte. Fassungslos riefst du aus, warum wir ausgerechnet an Bord eines Brandschiffs gebracht worden waren, da die französische Heeresflotte noch andere Schiffe im Hafen von Livorno zur Verfügung hatte.
Um Gottes willen, es lag mir völlig fern, auf hoher See ein Feuer zu entzünden! Mein Plan war viel einfacher: Das Brandschiff sollte während der Pause, in der wir im Hafen von Gorgona Wasservorräte nahmen, in Flammen aufgehen. Dort hätte jemand von der französischen Mannschaft gewiss die beiden Rettungsboote und unser Gepäck gesichert. Die Mannschaften von Brandschiffen sind eigens für solche Operationen ausgebildet, die sie mit der größten Geschwindigkeit und Präzision ausführen können, wenn das in Flammen stehende Brandschiff dem Endzweck zusteuert, für den es gebaut wurde. Und während ein Teil der Mannschaft nach Livorno zurückgekehrt wäre, um ein neues Schiff auszurüsten, mit dem wir unsere Reise nach Paris fortsetzen konnten, würde ich – nachdem ich die Aufzeichnungen Bouchards und die Fälschungen Poggios, wie das
Satyricon
, schlau auf unseren Wegen ausgestreut hatte – das Naturell, die Neigungen, Leidenschaften und Gewissensregungen meiner ahnungslosen Geiseln studieren, um zuletzt zu entscheiden, wer von ihnen würdig war, Bouchards und Poggios Papiere, die mir Francesco Bracciolini anvertraut hatte, zu erhalten, und wer am besten vermocht hätte, die in diesen Schriften verborgene Wahrheit über die Zeit zu verbreiten.
Welch ein Unglück, dass wir ausgerechnet über Ali Ferrarese stolpern mussten und beim Brand des Schiffs unser Leben riskierten!
Mea culpa, mea maxima culpa
, jammerte ich während jener schrecklichen Stunden, als mein Plan auf die schlechtmöglichste Weise scheiterte, heimlich vor mich hin.
Als wir endlich auf Gorgona landeten, war mein Zeitplan hoffnungslos |743| durcheinandergeraten. Ich kannte die Insel nicht, nur das verlassene Örtchen und den Hafen, auf die sich unser Aufenthalt beschränken sollte, wie ich gehofft hatte. Also setzte ich alles daran, damit wir möglichst lange nicht dort ankommen würden. Denn am Hafen legten, wie gesagt, oft Schiffe an, um sich mit Süßwasser zu versorgen. Wenn das erste Schiff kam, würde ich vielleicht noch verhindern können, dass wir alle an Bord genommen wurden. Zum Beispiel, indem ich ein Unwohlsein vortäuschte, wie ich es erfolgreich getan hatte, als die Schebecke aus Livorno sich Gorgona genähert hatte. Ich hatte mir ein wenig hier und da ausgerupftes Gras in den Mund gestopft, und nachdem es zu einem Brei durchgekaut war, hatte ich zum Schein erbrochen. Kemal hatte die Matrosen der Schebecke in seinem eigenen Interesse darauf aufmerksam gemacht, und aus Angst vor einer Seuche hatten sie uns zurückgelassen. Doch wie sollte ich mich verhalten, wenn das nächste Schiff kam, wie verhindern, dass es uns von der Insel rettete? Mein falsches Spiel wäre im Nu aufgeflogen.
Doch mitten im Unglück hatte ich das Glück, zu erraten, dass unser Kemal mitnichten der Statthalter des berüchtigten Ali Ferrarese war.
Unser unermüdlicher, zäher, wachsamer, erfahrener Korsar war niemand anders als er selbst: Ali Ferrarese persönlich.
Hätte ein gewöhnlicher Korsar so große Freude daran gehabt, uns Alis romanhafte Lebensgeschichte in allen Einzelheiten zu schildern? Diese Erzählung war seine Autobiographie.
Der alte Renegat focht seinen ewigen Kampf, immer und immer wieder. Nachdem er zwei Jahrzehnte hinter Gittern gesessen hatte, dürfte er nur noch einen Wunsch gehabt haben: seine letzten Jahre als freier Mann zu verbringen. Geriet er abermals in Gefangenschaft, konnte er sich nicht mehr als Türke ausgeben. Das hatte er schon einmal getan, und man hatte ihn zwanzig Jahre im Gefängnis verfaulen lassen. Daraus hatte er gelernt: er war nicht mehr Ali Ferrarese alias Francesco Gucciardo, sondern ein anderer Renegat, irgendeiner: Kemal, alias Vincenzo, der Italiener. Und wenn sie ihn erwischten, würde er sofort zugeben, ein Abtrünniger zu sein, oh ja, und er würde dem islamischen Glauben abschwören, um wieder ein Christ zu werden. Doch sobald man ihm die Freiheit gewährte, würde er verschwinden |744| und zu den Seinen nach Biserta zurückkehren, wo er reich und gefürchtet war, während ihn in Italien nur das Leben eines elenden Habenichts erwartete. Nicht der berühmte Ali
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