Das Mysterium der Zeit
Hypothese frei, dass eine große Anzahl von Münzen mit falsch geprägtem Datum in Umlauf gebracht wurden. Aber von wem? Und aus welchem Grund?
In den 90er Jahren, fast ein Jahrhundert nach dem Duell zwischen Torr und Petrie, entbrannte in England erneut eine glühende Debatte um das Problem der ägyptischen Zeitrechnung, dieses Mal ausnahmsweise mit Fernsehbeiträgen der BBC und Debatten in Nachrichtensendungen. Die Kontroverse war von dem Buch
Centuries of Darkness
ausgelöst, das von einer Gruppe Spezialisten (den Archäologen I.J. Thorpe und John Frankish , dem Historiker Nikos Kokkinos , dem Ägyptologen Robert Morkot ), angeführt von Peter James , der die Arbeiten koordinierte, verfasst wurde. Laut
Centuries of Darkness
ist die Zeitrechnung der Ägypter so überdehnt, dass sie einen Schnitt von circa zweieinhalb Jahrhunderten erfordern würde, was relativ präzise mit den Berechnungen von Isaac Newton übereinstimmt. Gegen die Gruppe um James stellte sich der Ägyptologe Kenneth Kitchen , der die Gegner als »junge Absolventen« und »Söhne von Velikovskij« anging, und ihnen dasselbe Ende wie ihrem Meister wünschte. Insbesondere griff Kitchen seine Gegner wegen ihres »irrationalen Hasses« auf Manetho an (dem griechischen Geschichtsschreiber, der von Pharaonen groß wie Elefanten erzählte). Kitchen musste es aber auch mit seinem Kollegen David Rohl aufnehmen, der dreieinhalb Jahrhunderte aus der Pharaonenzeit streichen wollte.
Das Rätsel um das Pharaonenreich wurde nicht gelöst: Obwohl man in den Schulen weiterhin die ägyptischen Dynastien unterrichtet, ist alles andere als klar, ob einige von ihnen überhaupt existierten und wie lange sie dauerten. Dass der Zeitrahmen des antiken Ägyptens sehr fragil ist, erkennen andererseits selbst die konservativsten Historiker an, ebenso wie es eine bekannte Tatsache ist, dass sich die antike Geschichte Chinas, Indiens und Japans im Wesentlichen auf legendenhafte Grundlagen stützt und uns keine zuverlässigen dokumentarischen Quellen überliefert hat. Darum scheint die Realisierung einer gemeinsamen Zeitrechnung mit diesen Völkern bis zum heutigen Tag eine Schimäre.
Hinzu kommt das Problem der Beziehungen zum Westen: Begibt man sich bei außereuropäischen Völkergruppen auf die Suche nach »jungfräulichen« Zeugnissen, riskiert man, auf Zeugnisse zu treffen, die aus den Erzählungen der Missionare »recycelt« sind.
Ein Beispiel für dieses Phänomen liefert uns Johannes Fried in
Der Schleier der Erinnerung
, München 2004, S. 208: Um 1870 verbrachte ein österreichischer Polizeikommissar die Abende auf seinem Weingut in Szegedin, Ungarn, |785| damit, den volkstümlichen Erzählungen der Tagelöhner zuzuhören. Eines Abends waren es die Arbeiter, die ihn aufforderten, eine Geschichte zu erzählen, und so hörten sie zum ersten Mal die Legende von Troja: die Geschichte von einem gut zehn Jahre andauernden Krieg, mit großen und unvergesslichen Schlachten, und dem Apfel der Helena, dem epischen Duell zwischen Hektor und dem unbesiegbaren Achilles … Im Jahr danach, als er die Tagelöhner erneut traf, bat der Kommissar sie, wieder eine Geschichte zum Besten zu geben. Sie erzählten ihm eine uralte Legende von einem gut zehn Jahre andauernden Krieg zwischen Ungarn und Türken, mit großen und unvergesslichen Schlachten, in denen das ungarische Heer von einem gefeierten Helden angeführt wurde, dem unbesiegbaren Á g Illés …
Fazit: Der kanadische Mathematiker Florin Diacu , Fachmann für Astrodynamik, untersuchte detailliert (
The Lost Millenium: history’s timetables under siege
, Toronto 2005) die Theorie Fomenkos und die Beweggründe seiner Verleumder, und erklärte das Match im Wesentlichen für unentschieden: Obwohl Fomenko einige offensichtliche Fehler und Ungenauigkeiten begangen habe, so sagt Diacu, gebe es gute Gründe, seine Thesen weiterhin zu diskutieren und zu überprüfen, ob sie zu glaubhaften Schlussfolgerungen führen können.
Hatte der Korsar Kemal vielleicht Recht, als er sagte, dass die Nazarener, sobald sie etwas Falsches finden, alles tun, um es wahr erscheinen zu lassen?
Ideologische Reinheit
Der Widerstand gegen die alternativen Theorien über die historische Zeit (heute werden sie kollektiv als »kritische Chronologie« bezeichnet) beruht auch auf der Tatsache, dass viele ihrer Verfechter in nicht immer politisch korrekten ideologischen Kontexten tätig waren (oder sind). Kammeier veröffentlichte seine Werke im
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