Das Mysterium der Zeit
davon abgehalten, zu offensichtlichen Schlussfolgerungen zu kommen«. Aber »das, was am meisten verwundert« sind nicht so sehr die »Ungenauigkeiten, Widersprüchlichkeiten und falschen Schlussfolgerungen« der Gelehrten, sondern die Tatsache, dass entscheidende und schon seit langer Zeit bekannte Dokumente »unglaublich vernachlässigt« wurden. Das Schweigen der Gelehrten, so sagt Pace »ist seltsam, wenn nicht sogar beunruhigend«.
|819| EPITAPH
Im Jahr 1417 fand Poggio Bracciolini das
De rerum natura
, das größte philosophische Gedicht des antiken Roms.
Sein Autor, der mysteriöse Lukrez, wurde fast nie in den Schriften seiner Zeitgenossen zitiert. Die untenstehenden Äußerungen aus L. Canforas
Vita di Lucrezio
, Palermo 1993, stammen von einigen der größten Historiker und Philosophen des letzten Jahrhunderts.
Lukrez wurde in eine große Familie geboren, die sich aus dem gesellschaftlichen Leben weitgehend zurückgezogen hatte.
MARCEL SCHWOB,
Vies imaginaires
Er gehörte den besten Kreisen der römischen Gesellschaft an.
THEODOR MOMMSEN,
Römische Geschichte
Der arme Lukrez, Sohn Freigelassener.
ALFRED KÖRTE
Der Dichter Lukrez, von dem uns nichts bekannt ist.
RONALD SYME
|821| ANMERKUNGEN
Die Möbius-Tetralogie
Das Geheimnis um die Mission der Dichterin und Komponistin Barbara Strozzi (1619–1677) wird erst in
Verschleierung
, dem Roman, der das Gegenstück zu dem hier vorliegenden bildet, gelüftet werden. Die Tetralogie, die mit
Mysterium
eröffnet wird und den Kern der letzten vier Bände der mit
Imprimatur
beginnenden Atto-Melani-Sage bildet, haben wir »Die Möbius-Tetralogie« getauft (wie der Leser am Anfang des Buches gesehen hat). Wie der gleichnamige bekannte Ring, der zwei Gesichter zu haben scheint, indessen nur eines hat, wird sich auch diese Tetralogie aus acht Bänden zusammensetzen, vier großen und vier kleinen, die jeweils vier Paare formen werden: Jedes Paar wird die zwei Gesichter ein und derselben Geschichte erzählen. Das erste Paar bilden
Mysterium
und
Verschleierung
.
Was also Barbara Strozzi angeht, verweisen wir auf die historischen Anmerkungen in
Verschleierung
. An dieser Stelle reicht es zu sagen, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit die erste Liebe Atto Melanis war, als der junge Kastrat in Venedig mit der Oper
La Finta Pazza
debütierte, deren Libretto von ihrem Vater Giulio Strozzi verfasst worden war. Eine historische Quelle dieser Zeit (
Satire, et altre Raccolte per l’Accademia degl’Unisoni in casa del Signor
Giulio Strozzi
, Manuskript, Bibliothek Marciana in Venedig) überliefert uns eine Satire, in der Barbara als verliebt in einen Kastraten dargestellt wird. Es ist dieselbe, auf die im Diskurs II angespielt wird. Sich als Kastrat zu verkleiden war eine von den jungen venezianischen Frauen gern angewandte List. Manches Mal artete sie in Extreme aus, wie in dem Fall des geheimnisvollen Mädchens, das sich als der Kastrat Bellino ausgab und sogar mit einem kleinen Penis ausgestattet war (vgl. V. Palumbo,
Bellino, Casanova e i finti cavalieri. Ovvero il paradosso delle cantatrici
, Beitrag zum Kongress »Donne a Ve nezia. Spazi di libertà e forme di potere (sec.XVI–XVIII)«, Venedig, 8.–10. Mai 2008).
|822| Der Fall Galileo
Als wir uns mit Jean-Jacques Bouchard befassten, stießen wir auf dessen Interesse an Galileo, den er im Jahr 1633 besucht hatte. Seinen Plan, eine Biographie Galileos zu schreiben, führte er jedoch nie aus. Galileo war lange Jahre Kollege von Cremonini an der Universität Padua gewesen, Studienort Gabriel Naudés und letzte Heimat von Caspar Schoppe.
Der Fall Galileo ist allgemein bekannt, die Rekonstruktion des Prozesses kann in jedem Geschichtsbuch nachgeschlagen werden.
Sie ist exemplarisch unter zwei wesentlichen Aspekten:
Die Auseinandersetzung zwischen zwei oder besser drei Erkenntnistheorien.
Die medienwirksame Propaganda, mit der Elia Diodati den Mythos des von der römischen Kirche verfolgten Galileo konstruierte und dem toskanischen Gelehrten so den Erfolg beim Publikum und bei der Kritik sicherte, den dieser zuvor nicht erlangt hatte.
Bezüglich des zweiten Punktes, also des Verhältnisses zwischen Galileo und Diodati, haben wir dem, was in Diskurs LXXVII und den zwei angefügten Betrachtungen dargelegt wurde, wenig hinzuzufügen. In ihnen ist nichts erfunden, wie sich anhand der umfangreichen und äußerst ausführlichen Abhandlung Stéphane Garcias,
Élie Diodati et Galilée
, Florenz 2004
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