Das Mysterium der Zeit
schwören, dass ich alle Heiligen, Jesus, die Madonna, die Unbefleckte Empfängnis und die Dreifaltigkeit ablehne und leugne!«
Barbello, dessen Hinterteil von den Peitschenhieben blutete, war mitnichten in der Lage, irgendetwas zu schwören, denn Ali verdrehte ihm mit so roher Gewalt das Ohr, dass er wegen der unerträglichen Schmerzen nur wimmern und weinen konnte.
»Sprich, du Hund!«, knurrte Ali abermals, den Kopf des Unglücklichen am Ohr schüttelnd, als hätte er den Griff eines Weidenkorbs in der Hand. »Ich sagte, sprich mir nach und verleugne deinen Jesus, wenn du nicht willst, dass ich dir mit diesem Schwert abschneide, was dir von deinem Schwänzchen geblieben ist!«
In der unheilvollen Stille, die sich über die Szene gesenkt hatte, hörte man nur das Klatschen der Wellen an den Schiffsrümpfen. Doch plötzlich ertönte ein Schrei von Schoppe:
»Jesus ist auch euer Prophet!«
|118| DISKURS XVI
Darin Barbello ein großes Risiko eingeht. Danach ereignet sich ein unvorhergesehener Zwischenfall, welcher viele angenehme, aber auch einige unerfreuliche Folgen hat.
Mit einer verächtlichen Geste lockerte Ali Rais den Griff um Barbellos Ohr. Endlich freigelassen, versuchte das Opfer, sein Hinterteil mit dem Mantel zu bedecken, den die beiden Korsaren auf den Boden geworfen hatten. Doch der Rais beförderte Barbello mit einem Tritt rücklings auf die Planken und setzte ihm einen Fuß auf den Bauch, wo er in einer erneuten Zwangslage liegen blieb, die Eingeweide zum Himmel gewandt.
Dann sprach der Rais zu uns:
»Ich habe Dinge gesehen, die ihr Nazarener euch nicht vorstellen könnt. Lichterloh brennende Schlachtschiffe vor den Festungen von Candia. Und die Laternen der Galeonen, die vor der Meerenge von Gibraltar in der Finsternis leuchteten. Es ist Zeit … zu sterben.«
Er erhob den Krummsäbel, zielte theatralisch auf Barbellos Kehle und holte zu einem mächtigen Säbelhieb aus, um die Klinge jedoch im letzten Moment auf das Ohr des Unglücklichen zu verlagern, denn der Rais hatte nicht die geringste Absicht, sich um das Lösegeld für den kostbaren Singvogel zu bringen.
In diesem Moment traf ein Fußtritt, hinter dem Rücken des Rais ausgeführt, den armen venezianischen Kastraten in die Seite, brachte ihn ins Rollen und entfernte ihn von Ali Rais. Es war dessen Statthalter gewesen.
»Ali, habt Mitleid mit diesem hündischen Nazarener!«, sagte er, die sonnenverbrannte Stirn runzelnd, aus der seine hellen Augen wie nächtliche Leuchtfeuer strahlten. Der Statthalter sprach Italienisch. »Vielleicht verdient er es nicht, mitten auf dem Meer wie ein Hund zu sterben, bevor er die Herrlichkeit von Tunis und seines Herrschers gesehen hat. Verschont sein Leben, Rais, unser Vergnügen haben wir heute bereits gehabt, als wir diese verfluchten Nazarener mit unseren Bucinae getäuscht haben!«
Der Statthalter schien also einer der drei Männer zu sein, die uns mit ihren Trompeten begrüßt und in dem Glauben gewogen hatten, wir wären einem niederländischen Schiff begegnet.
»Darum lasst ihn noch ein Weilchen auf dieser Seite des Grabens, |119| großer Ali, dann werden wir sehen, ob er sich von seinem dummen Nazarenerglauben befreien kann«, schloss er.
Ali Rais stand noch immer in derselben Haltung da, die Spitze des Krummsäbels erneut dramatisch auf die Kehle des armen Barbello gerichtet, welcher mittlerweile wohl etliche Male von der Welt hier unten Abschied genommen hatte. Der Anführer der Korsaren, der die Rede seines Statthalters bis jetzt reglos aufgenommen hatte, verzog das faltige Gesicht zu einem löwenartigen Lächeln, großmütig und wild zugleich. Dann räusperte er sich und spuckte ein paar Mal auf sein Opfer. Schließlich senkte er langsam die Waffe und stieß den weichen Körper des armen Kastraten mit der Fußspitze von sich, sodass er wie ein schlaffer Ball über die Planken davonrollte.
In unsere vor Anspannung wie gelähmten Lungen kehrte endlich wieder Leben zurück.
»Er soll sich wieder anziehen, der nackte Arsch eines Christen ekelt mich an«, erklärte das Oberhaupt der Barbaresken, spießte den Mantel des armen Barbello mit der Säbelspitze auf und ließ ihn über seinem Kopf fallen, worauf der Unglückselige fieberhaft versuchte, ihn zu erhaschen und sich zu bedecken.
»Und ihr anderen Hunde, lernt daraus!«, brüllte Ali, derweil ein Grüppchen seiner Männer herbeieilte, um ihm stolz ein paar Beutestücke zu zeigen, die sie auf unserem Schiff entdeckt hatten: Fernrohre,
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