Das Mysterium der Zeit
sein. Das war jedem klar und allemal einem der gefürchtetsten Rais. Während Ali dich beglückt von Kopf bis Fuß musterte, wog er im Geiste vielleicht schon die Goldmünzen, die du ihm einbringen würdest.
Auf der Suche nach weiteren Kastraten ließ er seinen Blick über die Gruppe schweifen und richtete den Krummsäbel sodann auf Malagigi:
»Marcantonio Pasqualini aus Rom«, stellte sich dein Maestro mit einer Verbeugung vor.
Ali wechselte ein paar gebrummte Bemerkungen mit seinem Lockenkopf. »Bist auch du, Pasqualini, einer dieser Invertierten, welche singen?«, fragte er mit einem Grinsen verächtlicher Belustigung.
»Jawohl, Signore«, antwortete Malagigi bezaubernd galant, »ich bin sogar Sänger der Sixtinischen Kapelle, wo ausschließlich invertierte Sänger aufgenommen werden, und da sie so herrlich singen, würde es mir gefallen, wenn Eure Exzellenz sie eines Tages hören könnten.«
Malagigis ausgesucht ehrerbietiger Ton verblüffte den Korsarenhäuptling so sehr, dass ihm eine nicht unwichtige Kleinigkeit entging. Wenn er die Sänger der Sixtinischen Kapelle hören wollte, hätte er sich in Rom befinden müssen, wo er nichts anderes als ein Gefangener des Papstes sein konnte, und genau diesen Wunsch hatte Pasqualini ausgedrückt und raffiniert in seiner Bemerkung versteckt.
Sein Statthalter mit der langen Mähne befreite Ali aus der misslichen Lage, indem er mit dem Säbel auf Barbello zeigte, der sich als Nächster vorstellen musste. Als der Rais erfuhr, dass auch Barbello außer dir und Malagigi engagiert war, am französischen Königshof zu singen, hellte sich seine Miene auf: Er hatte wirklich eine fette Beute gemacht.
Das war nicht immer so, im Gegenteil. Meistens versuchten die reichen Passagiere auf den von Barbaresken gekaperten Schiffen, Ringe und alles Wertvolle, was sie am Leib trugen, unbeobachtet ins Meer zu werfen, um sich als bescheidene Personen auszugeben und kein hohes Lösegeld für ihre Befreiung zahlen zu müssen. Ein kühner und gefährlicher Versuch, denn wenn die Korsaren das bemerkten, bestraften sie die Unglücklichen zur Abschreckung der anderen Gefangenen mit Peitschenhieben. In unserem Fall würden für die Kastraten gewiss nicht ihre Familien bezahlen, die meist nicht begütert waren, sondern |113| ihre schwerreichen Mäzene, und am Schutz der Geldbörsen ihrer Ausbeuter war den Kastraten herzlich wenig gelegen. Riskant war das Spielchen dennoch, überlegte ich, während ich besorgt eure Mienen betrachtete, aus denen das Vertrauen auf die Unterstützung des Kardinals sprach. Mein Amt als Secretarius verpflichtete mich zu einer raschen und dennoch gründlichen Prüfung der Situation samt all ihren möglichen Wendungen. Was würde zum Beispiel passieren, wenn das geforderte Lösegeld Mazarin übertrieben hoch erschien, oder wenn das ewig nörgelnde Pariser Parlament, dem der italienische Kardinal und mit ihm alle in Frankreich weilenden Italiener bereits ein Ärgernis waren, einwenden würde, dass eure Herren, also der Großherzog der Toskana und der Papst, zu dem Loskauf beitragen müssten? Diese hätten prompt empört erwidert, es sei Mazarins Wunsch gewesen, euch in Frankreich zu haben, koste es, was es wolle. Und tatsächlich hatte es nicht geringe Überredungskünste gekostet, um euch abreisen zu lassen, denn weder der Großherzog noch der Papst hatten sich gerne von euch getrennt. Im Geiste überschlug ich, dass schon für einen ersten Austausch von Briefen Monate erforderlich sein würden. Kurzum, über dem zu erwartenden Hin und Her riskierten wir alle, in Tunis oder Algier alt zu werden. Andererseits war mein Padrone und dein Taufpate, Girolamo Sozzifanti, – Ironie des Schicksals – ausgerechnet ein Hauptmann des Ritterordens Santo Stefano, also des Wächters der Meere, welcher eigens für den Kampf gegen die Barbaresken gegründet worden war und zusammen mit den Cavalieri von Malta die einzige christliche Flotte darstellte, vor der die hochmütigen muselmanischen Korsaren wirklich eine Heidenangst hatten. Nicht zu Unrecht: Die Cavalieri waren nicht zimperlich, wenn ihnen endlich einmal Piraten in die Hände fielen. Das wussten diese nur zu gut, und wenn es darum ging, mit einem Cavaliere des Ordens Santo Stefano ein Abkommen zu schließen, überlegten die Barbaresken, deren Ehrenwort gegenüber einem Christen gewöhnlich null und nichtig war, daher zweimal, bevor sie ihn verrieten. Aus diesem Grund hatte es auch genügt, dass ich Namen und Grad meines
Weitere Kostenlose Bücher