Das Mysterium der Zeit
Schuldigkeit der Seelen zu überzeugen.«
»Was für Dummheiten«, brummte Guyetus mit einer Grimasse, welche die größte Skepsis und Verachtung für alles Reden über Seele, Gott und Teufel verriet.
»Ihr habt wenig Grund, Euch verächtlich zu zeigen«, tadelte ihn Schoppe, ebenfalls einen kostbaren Rosenkranz hervorziehend, da er Hardouins Litanei bemerkt hatte und in das Gebet einstimmen wollte. »Hört auf, den Ungläubigen zu spielen und empfehlt Eure Seele lieber unserem Herrn Jesus Christus und der seligen Jungfrau, am besten auch allen Heiligen, in Anbetracht der Situation …«
»Oh, verehrungswürdiger Schoppe«, verspottete ihn Guyetus als Erwiderung, »gerade in Anbetracht der Situation empfehle ich mich doch lieber Allah und Mohammed statt Jesussen und Jungfrauen. Eher solltet Ihr beide Euch hüten«, und er zeigte auf die Rosenkränze von Schoppe und Hardouin, »es mit Euren papistischen Schmuckstücken nicht zu übertreiben, denn Allah wird Euch in der Pfanne braten, wenn er Euch diese vatikanischen Litaneien abspulen hört.«
»Ignorant und vulgär wie alle Atheisten. Ihr hättet Euch einen weniger |124| groben Scherz aussuchen können, wisst Ihr?«, entgegnete der verehrungswürdige Schoppe in säuerlichem Ton. »Ihr müsstet genau wissen – doch vielleicht wisst Ihr es ja und stellt Euch nur zu Eurem Vorteil ahnungslos –, dass diese mohammedanischen Bestien weit inbrünstiger an Jesus und an die Jungfrau glauben als Ihr, wenngleich auf ihre eigene Weise. Die selige Jungfrau genießt in der muselmanischen Religion hohes Ansehen und außergewöhnliche Privilegien, sie wird im Koran als ›Maryam‹ bezeichnet und häufig auch ›Sayyida‹ genannt, was Frau, Herrin bedeutet. In aller Bescheidenheit, aber da ich den Koran kenne, kann ich bezeugen, dass Mohammed die Muttergottes mit größerer Ehrerbietung behandelt als jede andere Frau. Nicht einmal seiner Gemahlin oder seiner Lieblingstochter Fatima erweist er so viel Achtung. Maria ist die einzige Frau im Koran, die mit ihrem Namen genannt wird, statt mit den üblichen, Frauen vorbehaltenen Bezeichnungen wie ›Gemahlin von‹ oder ›Tochter‹ oder ›Schwester‹. Vierunddreißig Mal wird sie explizit erwähnt, Jesus dagegen nur fünfundzwanzig Mal. In den insgesamt hundertvierzehn Suren des Korans taucht Maria in siebzig Versen und dreizehn Suren auf, von denen eine ihr allein gewidmet ist, die neunzehnte, eine der schönsten Suren, die den Titel ›Maria‹ trägt. Da können diese Teufel in Menschengestalt, Luther, Calvin und Zwingli, die nicht zur Muttergottes beten, nur vor Neid erblassen.«
»Aha, jetzt vergesst Ihr aber etwas«, frohlockte Guyetus. »Ihr seid ein Opfer der papistischen Propaganda gegen die Protestanten. Wisst Ihr denn nicht, dass die erste deutsche Übersetzung des Koran, die Theodor Bibliander besorgte, in Basel mit einem Vorwort von Luther erschienen ist?«
»Für wen haltet Ihr mich? Das weiß ich sehr gut, ich besitze sogar ein Exemplar. Der Stadtrat von Basel hatte sie verboten, sogar der Drucker wurde verhaftet. Mit dieser Übersetzung drohten die Spinnereien der hitzköpfigen Türken sich zu verbreiten, und das ist die Stimme des Antichristen auf Erden, wie die Baseler Ratsherren zu Recht sagten. Aber dann haben sich Luther und sein Sklave Melanchthon eingeschaltet, mit dem üblichen Einwand, dass der wahre Antichrist der Papst sei. Und die Übersetzung von Bibliander konnte erscheinen. Damit hatte Luther erreicht, was er wollte: Zwietracht säen. Ein schöner Erfolg.«
»Ihr Papisten könnt nur immer alles auf den Index verbotener Bücher |125| setzen. Ihr begreift nicht, dass ihr die heiligen Schriften der Ungläubigen kennen müsst, wenn ihr sie bekämpfen wollt«, schlug Guyetus zurück.
»Wie ich schon sagte, ich kenne den Koran, allerdings in der Sprache der Gelehrten, also Latein«, antwortete Schoppe, »und auch Petrus Venerabilis und Robertus Ketenensis dachten wie ich. Luther aber hat wie üblich einen richtigen Grundsatz böswillig ausgenutzt, nur um Zwietracht im katholischen Lager zu säen: ein Koran auf Teutsch, dem Idiom der bäuerlichen Welt Deutschlands, kann bei schlichten Gemütern nur Schaden anrichten. Werke mit einer falschen Lehre müssen ins Lateinische übersetzt werden, niemals in die Sprachen des einfältigen Volkes!«
Im Koran, berichtete Schoppe weiter, werde von der Geburt Marias erzählt, von ihrer Erziehung im Tempel, von der Verkündigung und der Geburt. Außerdem werde
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