Das Mysterium der Zeit
diesem Moment waren alle Gedanken auf das unsichtbare Individuum gerichtet, das wir jagten. Hinter dem Weinkeller am anderen Ende des Hofes befand sich eine kleine Kasematte, in die man über eine Treppe gelangte. Durch ein auf den Vorplatz vor der Festung blickendes Fenster konnte man im Falle eines feindlichen Überfalls von hier aus den Eingang beschießen. Jetzt befanden wir uns an einer Stelle, die dem Eingang genau gegenüberlag. Die Inspektion war beendet.
»Nichts. Hier ist niemand außer uns«, erklärte Naudé.
|198| »Das bedeutet, dass unser Freund fortgeflogen ist«, scherzte Malagigi.
»Keiner fliegt, wir haben uns einfach getäuscht«, erwiderte Barbello.
»Alle acht? Dieses Geräusch von Schritten auf dem Platz habt ihr auch gehört«, wandte Hardouin ein.
In der Ungewissheit und da die Angst nunmehr verflogen war, löste die Gruppe sich auf. Nur du und ich blieben in Gesellschaft von Malagigi zurück, während die anderen zum Vorratsraum zurückkehrten, wie wir den Keller, wo wir die Lebensmittel gefunden hatten, bereits nannten.
Wir betrachteten das Panorama ringsum. Der Felsen, auf dem sich die Torre Vecchia erhob, war nicht der höchste Gipfel der Insel. Ein Berg weiter südlich war deutlich höher. Von dort oben hatte man wahrscheinlich eine vollständigere Übersicht über die Insel.
»Wir sollten später versuchen, dort oben hinaufzukommen«, sagtest du, auf den Gipfel zeigend.
»Sehr richtig«, stimmte Malagigi zu, »und dann müssten wir … einen Moment!«
Wir sahen ihn fragend an, er hielt schnuppernd die Nase in die Luft, als folgte er einem Geruch.
»Das ist wirklich sonderbar, das riecht fast wie …«
Das Blut gefror uns in den Adern, denn in diesem Moment hörte man wieder das Geräusch. Der Eindringling war mitten unter uns.
»Da bist du!«, schrie Malagigi und hob die Arme, bereit, ihn zu packen, doch das Wesen ließ sich nicht täuschen und suchte mit einem flinken Sprung das Weite, sodass Malagigi, der ohnehin so lachen musste, dass er fast strauchelte, die Verfolgung aufgab.
Hüpfend und flügelschlagend kehrte das große Huhn eilig in den Hühnerhof zurück, dessen Geruch der Wind uns vor kurzem zugetragen hatte. Der Ausflug, bei dem das Federvieh unsere ganze Gruppe durch sein etwas zu lautes Scharren auf dem Platz in Panik versetzt hatte, war beendet.
|199| DISKURS XXVIII
Darin eine politische Diskussion geführt wird.
Die Entdeckung löste so unbändige Heiterkeit bei uns aus, dass es uns zunächst gar nicht einfiel, den Rest der Gesellschaft zu informieren. Wir untersuchten den Hühnerstall, der sich diskret in einem Keller unter dem Zimmerchen neben dem Ofen verbarg, doch über ein Fenster verfügte. Eine kleine Schar von sieben oder acht Hühnern nebst einem jungen Hahn, nicht besonders üppige Exemplare, doch allemal brauchbar, versprach uns angenehme, schmackhafte Gesellschaft zu leisten, bis wir einen Weg gefunden hatten, Gorgona zu verlassen.
Als wir zurückkehrten, um den anderen die frohe Botschaft zu überbringen, fanden wir die Gruppe im Keller des Kaplans in eine lebhafte Diskussion über gerechte Kriterien zur Aufteilung der Salamis vertieft. Der Hunger hatte die Oberhand über alles andere gewonnen, die Auswirkungen des Fundes des
Satyricon
oder was auch immer es war, hatten sich vorerst verflüchtigt. Auf meinen Vorschlag hin wurde die Diskussion darüber vertagt, bis die Mägen anständig gefüllt waren. In Anbetracht meiner Position als Secretarius gab man mir das von Malagigi gefundene Blatt zur Verwahrung bis zum Ende des Mittagessens, und niemand erhob ernsthaft Einspruch. Später, darauf konnte man wetten, würde der Streit sofort wieder aufflammen wie glühende Kohlen, die mit Stroh und trockenen Blättern genährt werden.
Einige wollten nicht recht glauben, dass das Geräusch auf dem Platz von einem Huhn herrührte. Also führten wir die ganze Gesellschaft zum Hühnerhof, und man folgte uns mit martialischen Schritten, fest entschlossen, nicht etwa die Frage der sonderbaren Geräusche zu klären, sondern den Speiseplan der kommenden Tage, ja, der nächsten Stunden.
»Tatsächlich, es war ein Huhn! Wie der große römische Historiker berichtet, gaben Fabio Massimo die Diktatur und Caius Flaminius sein Kommando über die Kavallerie wegen des Quiekens einer Maus auf«, rief Naudé lachend vor dem Hühnerkäfig aus, während die beiden Korsaren erneut mit einer blitzschnellen, eines Entermanövers würdigen Bewegung nach ihren Dolchen
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