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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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freundlich.
    »Nennt mich nicht Schwester, schöner Cavaliere, ich bin keine Nonne, auch wenn es wegen meiner Kleider vielleicht so scheint. Ich besitze fast nichts mehr, seit ich aus der Stadt entfernt wurde. Seit diesem Tag ist es mir verboten, dorthin zurückzukehren, also kann ich Euch nicht begleiten, was mir sehr leidtut, glaubt mir. Doch wenn Ihr den Wald durchquert, gelangt Ihr allein dorthin, die Stadt liegt auf der anderen Seite der Insel. Ihr könnt nicht fehlgehen, sie liegt an einer Bergflanke und ist fast quadratisch, weil ihre Längsseite knapp unterhalb des Gipfels beginnt und sich bis zum Flussufer hinzieht. Man gelangt über eine Brücke hinein, aber es ist keine Brücke aus hölzernen Pfeilern oder Pflöcken, sondern aus kunstvoll gearbeitetem Steinwerk. Das ist der einfachste Zugang, denn die anderen drei Seiten der Stadt sind von hohen Mauern mit Türmen und Außenwerk umgeben. Außerdem gibt es Festungsgräben, die zwar ausgetrocknet, aber tief und breit und voll Dornengestrüpp sind.«
    Während die junge Frau sprach, hatte Naudé aus seinem Sack einige zusammengefaltete und mit einem Bändchen verschnürte Karten geholt, die er nun mit den anderen drei Gelehrten eifrig studierte. Sie verglichen die Karten, zeigten darauf und diskutierten lebhaft.
    »Wie heißt die Stadt, von der ihr sprecht?«, fragtest du.
    »Amauroto.«
    »Ein sehr ungewöhnlicher Name«, gabst du verwundert zurück.
    »So nennen wir sie in unserem Dialekt«, entschuldigte sich das anmutige Wesen. »Doch seid vorsichtig, wenn Ihr Euch naht, dort ist man nicht sehr freundlich zu Fremden …« Sie schien sich ein wenig für ihre Mitbürger zu schämen.
    »Warum seid Ihr aus Eurer Stadt gejagt worden?«, fragte Barbello.
    »Bevor ich Euch antworte – versprecht Ihr mir, dass Ihr dem Großherzog der Toskana oder wenigstens seinem Kanzler davon berichtet, wenn Ihr nach Florenz zurückkehrt? Ich würde ihm gerne ein Bittschreiben senden, aber ich weiß nicht, wie ich es dem Empfänger zukommen lassen soll. Der Großherzog muss wissen, welche Ungerechtigkeiten auf seinen Ländereien begangen werden!«
    »Wir werden es ihm berichten«, versprach ich sofort.
    »Gut. Was mir widerfahren ist, ist ganz einfach: Man hat mich beschuldigt, die Besuchsordnung verletzt zu haben, die in der Stadt gilt.«
    |205| Dieser letzte Satz erregte Schoppes Aufmerksamkeit, und auch seine Kollegen lauschten wieder den Informationen, die die junge Frau uns gab. Naudé steckte derweil seine Karten wieder in den Sack zurück.
    »Die Besuchsordnung?«, wiederholte Schoppe stirnrunzelnd. »Was ist denn das für eine Stadt, ein Gefängnis?«
    »In Wahrheit könnte sie ein Paradies sein, wäre da nicht die Bosheit des Traniborus.«
    »Des … was?«, fragten wir fast einstimmig.
    »Des Traniborus«, wiederholte die junge Frau, ohne zu zögern. »Und der Rat der Syphogranten steht ihm in nichts nach.«
    Wieder wandten sich alle Gesichter mir zu, in Erwartung einer Erklärung dieser vollkommen unverständlichen Begriffe. »Das werden die lokalen Bezeichnungen für die Richter der Stadt sein«, vermutete ich achselzuckend, um zu zeigen, dass ich nicht mehr wusste als sie.
    Die junge Frau setzte sich und begann zu erklären, dass Nusquama, eine unzugängliche, mit hohen Klippen aus dem Meer ragende Insel, in ihrem Inneren weiträumig, gesund und wohlhabend sei. In ihrer Stimme schwangen sehnsüchtige Untertöne mit, als sie von den Familien erzählte, die viele Kinder hätten, und von reichen Bauernhöfen, die bis zu vierzig Menschen Brot und Lohn geben könnten. Alle arbeiten, berichtete sie, bestellen die Felder oder praktizieren die freien Künste und Wissenschaften. Doch niemand hat persönlichen Besitz oder erhält mehr als das Lebensnotwendige. Die Früchte der Arbeit und der Felder werden in riesigen, unbewachten Lagern aufbewahrt, aus denen jeder von Mal zu Mal entnimmt, was er braucht. Die Mahlzeiten werden in großen Refektorien gemeinschaftlich eingenommen, ohne zu bezahlen, ebenso werden die Kranken in einem großen Hospital, das am Stadtrand liegt, damit die Kranken nicht vom Lärm des Marktes im Stadtzentrum gestört werden, kostenlos behandelt. Keiner kann die Bedürfnisse des anderen ausnutzen, weil alle genug zum Leben haben und sich mit wenig begnügen. Parasiten und Wucherer gibt es nicht, Gold und Silber werden verachtet, weil ihr Wert nur in ihrer Seltenheit liegt, während das Eisen hohe Achtung genießt, weil es zum Leben so nötig ist wie

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