Das Mysterium Des Himmels
hinab, das weiträumig überflutet worden war. Dann sah er, was Palmira entdeckt hatte und Amadas und Matu schauten ebenfalls hinab. Vorsichtig führten sie die Pferde über den schmalen Weg hinunter und glitten dabei immer wieder aus. Es war gefährlich, aber sie hatten alle nur den Blick auf das gerichtet, was sie schweigend zur Kenntnis genommen hatten.
Ekuos führte sein Pferd an den nassen Wiesen vorbei und schlug einen weiten Bogen. Dabei entfernte er sich vom Fluss und von dem, was sie nun erwartete. Aber er ging nicht hinüber. Noch nicht. Er blickte hinauf zur großen Sonne, die sich nun schon seit Tagen zurückgezogen hatte, und er schaute auf die Erde, die so voller Wasser war, dass jeder Schritt auf ihr ein seltsam quietschendes Geräusch verursachte. Ekuos suchte sich ein trockenes Stück Wiese und hockte sich nieder. Er wollte die Götter befragen. Nein, er wollte laut klagen, aber das wäre seiner Stellung nicht angemessen gewesen. So blieb er still hocken.
Amadas beschaute das überflutete Land und wunderte sich, wie schnell der Inn nach den starken Regenfällen das Gebiet überschwemmt hatte. Er konnte sich an den Namen Eon nicht gewöhnen, weil er ihn zu sehr an die Göttin der Morgenröte, Eos, erinnerte, die man in seiner Heimat verehrte. In seinem Geburtsort Alexandria wären solche Wassergüsse nicht unwillkommen. Er sah sich um. Warum geschah nichts? Niemand unternahm etwas. Ekuos hockte in sich versunken im Gras, Matu schaute über den Fluss und Palmira kniete auf dem Boden.
Matu konnte das nicht mehr mit ansehen. Ohne einen Auftrag zu haben, ging er langsam auf den Fluss zu. Schnell reichte ihm das Wasser bis an die Waden, aber das spürte er nicht. Auch nicht seine Kälte, obwohl das Wasser direkt vom Eis aus den Bergen gekommen war. Matu stand bis zu den Hüften im Fluss und drehte den Kopf. Palmira kam ganz langsam auf ihn zu und Amadas hütete mit verschränkten Armen die Pferde. Er wartete, bis Ekuos beide Hände flach auf die Erde legte, dann griff er zu und hob einen Toten aus dem Wasser. Für einen Moment hoffte er auf Leben, weil Wasser aus dem Mund des Jungen lief. Matu trug ihn nahe zu den Bäumen und legte den Körper auf den Boden.
»Es ist Menos, Sohn der Kimone, meiner Schwester«, sagte Matu zu Palmira.
Er nahm seine Axt, lief zum Wasser zurück, hieb den beiden ertrunkenen Feinden, die am Ufer lagen, die Köpfe ab und stieß sie in den strömenden Fluss.
Ekuos gab Matu ein Zeichen. Der nahm Palmira mit, um trockenes Holz zu suchen. Sie würden also nicht weiterziehen, sondern an diesem Platz bleiben, bis Ekuos das Zeichen zum Aufbruch geben würde.
Amadas führte die Pferde zwischen den Bäumen hindurch ein wenig tiefer in den nahen Wald. Sie scheuten vor dem toten Jungen. In der Nähe der ertrunkenen Toten waren mehrere roh behauene Baumstämme am Ufer gelegen, woraus Amadas schloss, dass mindestens eines der Flöße der Feinde von den Wassermassen zerstört worden war. Er musste sehr lange warten, bis Palmira und Matu zurückkamen. Offenbar bereitete es Schwierigkeiten, trockenes Holz zu finden. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit zündeten sie das aufgeschichtete Holz an. Ekuos verließ die Gruppe und zog sich in den Wald zurück.
Amadas störte die Schweigsamkeit und so begann er, die Geschichte der großen Flut zu erzählen, so wie man sie in seiner Heimat von Generation zu Generation weitertrug. Palmira sah ihn dabei an, während Matu stumm in das Feuer starrte.
»Es gab ein Leben vor unseren Leben, und davor und noch weiter davor. Da wohnten Menschen an einem Fluss, den sie Euphrat nannten und sie lebten so, wie die Menschen eben lebten. Sie aßen, sie tranken und sie schliefen. An mehr dachten sie nicht. Das missfiel den Göttern, denn die Leute ehrten weder die Erde noch den Himmel. Also wollten sie ein Zeichen setzen und den Erdboden von jenen befreien, die nicht wertvoller waren als das Ungeziefer, das mit Eimern voll Wasser aus den Häusern gespült wurde. Die Götter warnten und drohten, aber niemand hörte ihnen zu. Die Menschen bewegten sich nur, um etwas für das tägliche Essen zu bekommen oder sie hüpften herum und amüsierten sich. Also berieten die Götter darüber, ob alle Menschen sterben oder ob sie eine Wahl treffen sollten, um einer neuen Generation eine weitere Frist zu leben einzuräumen. Sie entschieden und ihre Wahl fiel auf einen Mann aus Schuruppak. Der sollte ein Schiff bauen für sich und die Seinen, mit genug Platz für die Samen aller
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