Das Mysterium Des Himmels
nicht gehört, wie Kida in der Nacht das Wasser durchquert hatte. Aber er wusste, das Wesen würde den kleinen Abhang hinter der Quelle hinabstürzen. Noch hielt er seinen schweren Stock fest im Griff und winzige Kälteschauer liefen über seine Haut, da lag Kida wieder an ihrem Platz, als habe sie sich nur ein wenig bewegen wollen.
Für wen sind die Winde da?
Ekuos starrte noch immer auf die Stelle, wo dieses Wesen gestanden hatte, bis es verschwand. Mit steifen Fingern holte er das Messer unter seinem Hemd hervor und legte es vor sich hin, damit er es schneller greifen konnte. Oh ja, er wusste, dass er das nicht tun durfte. Es gehörte nicht zum Charakter eines Sehers, sich eines Messers zu bedienen, aber er fürchtete sich. Und wer sagte ihm denn, dass dieses Wesen nicht wiederkam? Der Schrei allerdings, das war der Schrei eines wirklichen Menschen gewesen, dachte Ekuos.
Amanda ging wie in Trance auf das Waldstück zu. Sie lief vom Wasser aus direkt an Ekuos vorbei und hielt das Schwert in der Hand. Als sie auf seiner Höhe war, sprach er.
»Im Meer der Nacht flog ein kleiner Kahn mit schwarzem Segel über den Himmel. Wenn die Geister, die sich längst geheime Wörter im entfernten Wald zuriefen, ihre Verstecke verlassen, wird es nicht viel helfen, darüber zu grübeln, wem die Winde nutzen.«
In Ekuos begann ein Summen und aus den Tönen entstand ein Lied. In Ekuos sang etwas und er wusste gleich, dass es die Stimme seiner Mutter war, die gerade vom Haus hinüber zu den Ställen ging, um seine Tiere zu füttern. Mutter sang in seiner Brust und es tröstete ihn. Er war froh, dass er nun nicht mehr allein in der Kälte ausharren musste. Er schämte sich ein wenig dafür, dass er Amanda alleine gehen ließ, aber er musste ausharren. Auch als Hirte hatte er häufig ausharren müssen. Er dachte daran, wie es ihm wohl ergehen würde, wenn die Zeit kam, in deren Nächten sich die Toten aus der Erde erhoben, um zu ihren Familien zu wandern und nachzuschauen, ob die Ehre der Sippen gewahrt wurden. Sie aßen und tranken und verließen ihre Leute wieder, bevor der Morgen seine Helligkeit über das Land schüttete. Wie würde Ekuos sich benehmen, wenn er in einer solchen Nacht an einem solchen Platz wie diesem hockte, und vor ihm die Scharen der Toten vorbeiwandern würden? Gar nicht, dachte Ekuos, denn das hatte er nicht zu empfinden. Er hatte zu warten, bis die Götter entschieden. Er wusste natürlich, dass Amanda drüben an der Quelle sterben könnte, aber das war keine wahrhaftige Antwort. Wenn er nur darüber nachdenken könnte, wem die Winde nützten, würde das den Göttern gefallen. Aber er tat es nicht. Er dachte an Amanda und an sein Messer.
Ein feiner Regen kam vom Himmel herab und Ekuos drückte sich fester gegen den Felsen in seinem Rücken. Es wurde noch kälter. Er hockte auf dem Boden und wartete. Über seinem Kopf hing der Himmel und reiste nicht, stand still wie in einer gedankenlosen Leere und schaute auf die Erde hinab. Eine Wolke stieg auf. Dann stand eine weiße Frau über dem Flussbett.
Ekuos hatte genug. Jetzt wollte er am hellen Morgen die Möglichkeit nutzen, das Gelände zu untersuchen, um nachzusehen, wer oder was da in der Nacht herumgelaufen war. Die Götter sind dir wohlgesinnt und werden dich auf deinen Reisen begleiten, hatten ihm die Weisen gesagt. Daran durfte Ekuos nicht zweifeln. Zweifelte er denn? Das durfte er gar nicht erst in seinen Kopf lassen.
Für wen sind die Winde da?
Ekuos starrte in den Morgen und er hatte das Gefühl, als starrte die Nacht noch immer mit ihren unheimlichen Wesen zurück. Warum hatte er denn kein Feuer machen dürfen? Hätte ihn das Wesen aus der Dunkelheit überraschen und töten können? Aber er konnte doch gar nicht sterben. Niemand starb wirklich. Man veränderte sich, wurde anders, ging herum und konnte ungesehen seinen Schabernack treiben. Wenn der tote Großvater sich an die Familie erinnerte und in das Haus zurückkam, warf er einen Krug zu Boden. Niemand konnte ihn sehen, aber es geschah. Immer, wenn ein Krug zu Boden fiel, hatte die Mutter gesagt, der Großvater ist da. Ekuos hatte ihr geglaubt und nach ihm gegriffen, aber nie etwas in den Händen gehalten. Häufig war er dann zum Grab des Großvaters gelaufen, hatte es aber immer unberührt vorgefunden. Vielleicht, hatte Ekuos damals gedacht, ist der Großvater gar nicht dort, vielleicht ist er längst woanders? Die Mutter hatte einmal gesagt, manchmal spricht er zu mir im Schlaf.
Ekuos
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