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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Handflächen kribbelten. Wendete sich ihr Schicksal? William Ockham ging mit Giselberga
     spazieren, um ihr, Adeline, zu helfen. Die Gräfin nahm sie wieder auf. Wenn Gott ihr derart beistand, mußte es auch gelingen,
     Amiel zu vernichten.
    Sie holte das Handtuch, faltete es wie aufgetragen und verließ den Nordflügel. Auf dem Hof schlug Prinz Wilhelm einem ungehorsamen
     Nachfolger gerade den Kopf ab. Wilhelm hob das Holzschwert in die Höhe und ließ es auf den Nacken eines kleinen Jungen niedersausen,
     der vor ihm im Schnee kniete. Der Junge kippte zur Seite und tat, als sei er tot. »Laß dir das eine Lehre sein«, sagte Wilhelm.
     »Man hat mir zu gehorchen.«
    Adeline lief an ihnen vorüber. Da brüllte Wilhelm: »Die Ungehorsame! Holt sie her! Sie muß sterben.«
    Die Kinder stürmten auf sie zu. Das Tuch! Adeline hob es in die Höhe. Sie war nicht in der Verfassung für Spiele. Laßt mich
     in Frieden, dachte sie. Sie sagte: »Laßt das.«
    |285| Die Kinder verharrten auf halbem Wege. Sie sahen sie zögerlich an.
    Man hörte auf sie? Damit hatte sie nicht gerechnet. »Habt ihr verstanden?« setzte sie nach. »Laßt mich in Frieden.« Sie ging
     weiter.
    William würde ihr unmöglich dabei helfen, Amiel zu töten. Er würde es ihr nicht zutrauen, und er würde nicht glauben, was
     sie wußte: daß Nemo tot war.
    Sie betrat die Kanzlei im Südflügel. Leonhard, der begabte Kalligraph und Miniaturmaler des Kaisers, hatte sein Pult an das
     Fenster geschoben, um besseres Licht zu haben. Adeline warf einen Blick auf das Pergament, das darauf lag, von Steinen beschwert.
     Sie schluckte. Seine Ränder waren verziert mit grazilen Ornamenten, Ranken, Blüten, Wappen. Rings um den ersten, übergroßen
     Buchstaben kämpften ein Adler und ein Löwe. Der Schnabel des Adlers war geöffnet, der rechte Flügel angelegt, die linke Schwinge
     aufgefächert, sie bestand aus fünf Federn. Seine Fänge gruben sich in die Mähne eines zusammengekauerten Löwen. Der Schwanz
     des Löwen war steil in die Höhe gerichtet, er schien Schmerzen zu leiden, man konnte ihn förmlich brüllen hören.
    »Ludwig wird frohlocken«, sagte Leonhard zu William. »Er freut sich jedesmal, wenn ich den Kampf eines Adlers gegen einen
     Löwen zeichne.«
    »Natürlich. Solange der kaiserliche Adler das Wappentier der Welfen besiegt. Ist es nicht furchtbar, daß das Leben eines Kaisers
     rundweg aus dem Kampf gegen Feinde besteht? Geben die anderen Regenten einmal Frieden, dann machen ihm Feinde im eigenen Reich
     zu schaffen. Der Adler findet einfach keine Ruhe.«
    »Wenn ich diese Urkunde abgeschlossen habe, kann ich mich wieder Eurem
Dialogus
widmen.« Er wendete sich Adeline zu. Seine feinen Locken schimmerten kastanienbraun im Licht, das durch die Tür auf sie fiel.
     »Kann ich dir helfen, Adeline?«
    Er weiß meinen Namen! dachte sie. »Gräfin Giselberga schickt mich. Ich würde gern mit William Ockham sprechen.«
    |286| »Bitte. Er ist ganz dein.« Leonhard lächelte. »Ich muß sowieso diesen Erlaß fertigstellen.«
    William hakte sich bei Adeline unter und führte sie aus der Kanzlei hinaus. »Hat sich die Gräfin entschieden, dich wieder
     aufzunehmen?« fragte er.
    »Ja. Dafür danke ich Euch sehr.« Sie hielt ihm das Tuch hin, so, daß die kleinen Vögel ins Auge fielen. »Das soll ich Euch
     von der Gräfin geben. Sie hat es selbst bestickt.«
    »Was ist es?«
    »Ein Handtuch.«
    Er faltete es auf und hielt es ins Sonnenlicht. Vor dem blauen Winterhimmel wirkten die Stickereien wie kleine bunte Flecken.
     »Sehr schön«, sagte er.
    »Danke, daß Ihr Euch für mich eingesetzt habt.«
    »Ich habe dich gestern über den Hof gehen gesehen. Dieses Unglück in deinem Gesicht, da mußte ich etwas unternehmen.«
    »Darf ich Euch etwas fragen?«
    »Gern.« Er rieb sich die Oberarme. »Es ist kalt. Begleite mich in die Studierstube.« Unter der großen Sonnenuhr betraten sie
     den Ostflügel. William stampfte mit den Füßen auf, um den Schnee abzuklopfen, und stieg vor Adeline die Treppe hinauf. »Was
     willst du wissen?«
    »Könnte es sein, daß Amiel mich vergiftet?«
    »Das glaube ich nicht. Schmeckt dir das Essen nicht mehr?«
    »Wie müßte es schmecken, wenn es Gift enthält?«
    »Das häufigste Mordgift ist der Blaue Eisenhut. Er schmeckt bitter. Du würdest es merken, wenn du Eisenhut in der Speise hättest.
     Andere haben es zumindest gemerkt und so ihr Leben gerettet.«
    »Besteht das Gift aus Eisen?«
    Er lachte. »Nein. Es ist

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