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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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eine Pflanze. Sie wird auch Teufelswurz genannt oder Wolfskraut. Man steckt die Knollen in rohes
     Fleisch und legt es im Wald aus, dann fressen es die Wölfe und verenden.«
    »Was geschieht, wenn es ein Mensch ißt?«
    |287| »Ich glaube nicht, daß du vergiftet bist. Du würdest anders aussehen. Ein Mensch, der Eisenhut gegessen hat, seien es nun
     die Knollen oder ein anderer Teil der Pflanze, dem bricht der Schweiß aus. Er erbricht sich, die Gliedmaßen sterben ab, die
     Atmung verflacht. Er stirbt binnen weniger Stundenläufe. Zuvor leidet er stärkste Schmerzen. Hast du Schmerzen?«
    »Nein.«
    William schloß die Tür auf und trat ein. »Also bist du nicht vergiftet.«
    »Kann denn jeder dieses Gift kaufen?«
    »Im Grunde nicht. Der Apothekarius weiß ja, wie gefährlich es ist. Man müßte schon sehr gewieft sein und an die Eisenhutsalbe
     denken.«
    »Also könnte er mich nicht nur über das Essen, sondern auch über eine Salbe vergiften, die er mir unbemerkt auf die Haut streicht?«
    »Das habe ich nicht gesagt. In Form von Salbe verwendet man Eisenhut, um Schmerzen zu lindern oder Fieber zu senken. Die Wirkstoffe
     dringen durch die Haut ein. Sie sind aber nur giftig, wenn man sie verspeist, und das müßte dann ein ganzes Töpfchen Salbe
     auf einmal sein. Du solltest dich nicht ängstigen. Es würde Amiel auch nicht ähnlich sehen, Gift einzusetzen. Er ist verblendet,
     aber keiner, der sich an den Qualen anderer erfreut.«
    Sie schloß die Tür hinter sich. »Ich glaube schon, daß er sich an Qualen anderer erfreut.«
    »Nein, Adeline. Das sind andere Menschen. Amiel ist nicht von Anfang an böse gewesen.« William drehte sich um und sah sie
     an. »Jemand, der seine Gelüste, sein Wohl, sogar seine Sicherheit einem großen Anliegen unterordnet, ist ein großer Mensch.
     Verstehst du, was ich meine?«
    Sie kniff die Augen zusammen. Was sagte er da? Amiel ein großer Mensch? Die Bestie?
    »Bei diesen großen Menschen besteht wie bei den gewöhnlichen die Gefahr, daß sie an einer Weggabelung den falschen Pfad nehmen.
     Dann werden aus ihnen erbarmungslose Eiferer. |288| Sie sind bereit, für eine Sache zu sterben; aber auch bereit, dafür zu töten.«
    »Wollt Ihr sagen, daß der Perfectus nicht böse ist?« Ihre Stimme bebte. Warum sah niemand die häßliche Fratze dieses Dämons?
     Warum gelang es ihm, sie alle zu täuschen?
    »Jeder Mensch hat zwei Seiten. Wie das Pergament! Sieh her.« Er nahm eines vom Pult. »Die Seite, die ursprünglich behaart
     war, ist rauh und dunkel. Deshalb bringt man die schönen Buchmalereien auf die Fleischseite auf, die heller und geschmeidiger
     ist. Jeder kann sich entscheiden, auf welche Seite des Pergaments er sein Leben aufträgt.«
    Fleischseite. Sie mußte plötzlich daran denken, daß in den dicken Büchern, die hier lagen, ganze Schafherden enthalten waren,
     oder deren Häute, zumindest.
    »Tag für Tag entscheidet man sich dafür, das Gute oder das Böse zu tun. Im Laufe der Zeit wird eine Gewöhnung daraus. Man
     gewöhnt sich an, gut zu sein. Oder man gewöhnt sich an, böse zu sein. Hinzu kommt, daß eine Tugend weitere Tugenden nach sich
     zieht, und einer häßlichen Begierde weitere Begierden folgen.«
    War sie dabei, einer häßlichen Begierde zu folgen? Sie würde einen Menschen töten. So weit hatte er sie gebracht. Amiel hatte
     ihr die Unschuld genommen, den Gehorsam gegenüber Gottes Liebesgebot. Er hatte den Haß in sie gepflanzt.
     
    Sie wußte, daß sie etwas Verbotenes tat, als sie das Geschäft des Apothekarius’ betrat. Sie spürte es mit jeder Faser ihres
     Körpers. Das Herz pochte ihr im Hals, und sie fühlte ihre heißen Ohren. Er würde ihr ansehen, daß sie log. Glücklicherweise
     befand sich bereits jemand im Laden, eine Frau von großem Leibesumfang, und der Apotheker war abgelenkt.
    »Mein Sohn hat wieder diese Krämpfe«, sagte die Frau, »und das Heilkraut ist aufgebraucht.«
    »Hat es geholfen?« fragte der Apothekarius. Hinter ihm standen in langen Reihen beschriftete Krüge. Dosen lagen in |289| den Regalen. Bronzene Fläschchen fanden sich, und Weidenkörbe. Auf dem Ladentisch stand eine feine, bronzene Waage. Durch
     die Tür hinter dem Apothekarius sah Adeline einen alten Mann, der am Tisch saß und mit einem Stößel etwas in einem Gefäß zerrieb.
    Auf dem Ladentisch lockte Konfekt, daneben lagen in verschiedenen Schalen Gewürze. Es roch nach Kardamom, Muskat und Minze.
     Getrocknete Heilkräuter hingen von Schnüren,

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