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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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versuchen, Euch zu einem Geständnis zu bewegen. Es ist unnötig,
     Ihr habt genug anderes getan und gesagt, das sich nachweisen läßt. Vielmehr geht es mir darum, wie der Mord geschehen ist.
     Ohne Spuren, und doch mit einer Legende behaftet, die Euch Macht verleiht und Euch zugleich vor der Strafe schützt. Eine geschickte
     Tat.«
    Erneut ergriff Erregung Besitz von ihm. Was wollte der Dominikaner erreichen? Er drohte. Er lobte. Er vollführte einen Totentanz
     der Worte. Auf welches Ziel strebte er hin? »Es steht einem Inquisitor der Heiligen Kirche nicht gut an, so zu reden, findet
     Ihr nicht?«
    Der Dominikaner stand auf. Sein Blick war ernst. Er wendete die verunstaltete Gesichtshälfte den Fenstern zu. Sie glühte im
     Licht. »Ich möchte, daß Ihr es noch einmal tut, Amiel. Ihr sollt noch einmal töten, auf eine Weise, die es als Gottesstrafe
     aussehen läßt.«
    Er stand da wie vom Donner gerührt. Der Dominikaner war hier, um ihn um einen Mord zu bitten? Seit Monaten lief alles nach
     seinen Plänen, die Stadtbevölkerung ließ sich von ihm leiten, er hatte Ratsherren auf seiner Seite, er hatte den berühmten
     Gelehrten des Kaisers besiegt, er, Amiel, erreichte, was |363| dem großen Pierre Autier nicht gelungen war, er begründete die perfekte Kirche. Und nun sprang ihm ein hölzernes Zahnrad aus
     dem Hämmerwerk. Der Dominikaner wollte sich nicht einfügen, er wollte seiner Rolle nicht treu bleiben. »Ihr vergeßt, wer ich
     bin«, sagte er. »Ein Perfectus mordet nicht.«
    »Ich gebe Euch freie Hand, solange Ihr nicht die Stadt verlaßt. Im Austausch für Eure Dienste werde ich im Prozeß Euer Leben
     schonen. Eure Nachfolger werde ich verbrennen, aber Euch soll kein Haar gekrümmt werden. Nach kurzer Kerkerhaft lasse ich
     Euch frei. Vorausgesetzt, daß Ihr mit dem Mord erfolgreich seid. München soll im Februar eine große Beerdigungszeremonie haben.«
    Er dachte nach. War es nicht eine Möglichkeit, sich Zeit zu verschaffen? Schließlich sagte er: »Ich brauche vier Wochen, um
     alles vorzubereiten. Und ich will ein gewisses Beweisstück haben, das Ihr einem Freund von mir genommen habt. Wer ist es,
     den Ihr so unbedingt tot sehen wollt?«
    »Nicht ich, Amiel. Die Kirche.«
    »Also, wen will die Kirche tot sehen?«
    »Ihr werdet den Kaiser töten.«

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    Durch die Stadt zog der Geruch von Angst: Urin, kalter Schweiß, Blut. Wie Ameisen über einen Eindringling einherkrabbelten,
     wie sie durcheinanderliefen und sich gegenseitig mit den Fühlern betasteten, wildgeworden von den Anzeichen der Gefahr, so
     taten es die Münchner an jenem 4. Januar 1337. Sie standen auf den Plätzen und redeten hin und her, sie strömten hilflos auf
     die Stadttore zu, dann wieder zurück zu Rindermarkt, Ratsturm, Roßmarkt. Sie zwängten sich durch die Judengasse, sie sammelten
     sich in ehrfürchtigem Abstand vom Kaiserhof und wagten dann doch nicht, am verschlossenen Tor um Einlaß zu bitten.
    Die Geistlichen verkrochen sich in den Klöstern und Kirchen. Heute läutete keine Kirchglocke, niemand wagte es, in Gegenwart
     des Großinquisitors dem Bann des Papstes zuwiderzuhandeln. Das Schweigen der Kirchtürme war gespenstisch, es war, als entzöge
     Gott der Stadt Schutz und Hilfe.
    Fünfzig Juden versammelten sich in der Synagoge und berieten ohne Ergebnis. Die vierhundert Beamten und Mägde und Knechte
     im Kaiserhof spürten die Unruhe, selbst die Tiere spürten sie, die Löwen brüllten kläglich heute.
    Auf dem Marktplatz schoren die Gehilfen des Inquisitors die ersten Köpfe. Man zog den Büßern härene Kleider an. Grell prangten
     gelbe Kreuze darauf. Zwei reiche Kaufleute wurden zu Pilgerfahrten nach Rom verurteilt.
    Die Mehrzahl der zehntausend Stadtbewohner bestritt, je dem Perfectus zugehört zu haben. Statt dessen gaben sie vor, der Inquisition
     zu helfen. Sie sahen prüfend ihren Nachbarn ins Gesicht und warnten: Man erkenne einen Häretiker an seiner blassen Haut. Sie
     erzählten, das Wort Ketzer komme vom lateinischen Cattus. Angeblich küßten die Ketzer nämlich in |365| einem Ritual eine Katze auf das Hinterteil, um Satan die Ehre zu erweisen. Man dürfe Ketzern nicht helfen und auch nicht mit
     ihnen Handel treiben, sonst lade man einen Fluch auf seine Seele! Mißtrauisch beäugten sie die Menschen.
    Unter denen aber, die nach wie vor auf der Seite des Perfectus standen, ging das Gerücht einer Namensliste um, einer Liste
     von Todgeweihten, die der Inquisitor angelegt

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