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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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entgegen. Er schlug es auf, las, blätterte
     einige Seiten weiter. Nemo erinnerte sich an die Bologneser Lettern, die den Text in blauer und zinnoberroter Tinte verzierten.
     Die
Interrogatio Johannis
, die vom Sturz Satans und von den Engelsseelen handelte.
    William sagte: »Damit steht dem Prozeß nichts mehr im Weg. Wenn der Inquisitor dieses Buch erhält, ist Amiel des Todes. Kein
     langes Nachforschen mehr.«
    »Hier ist noch ein weiteres«, hörten sie die Stimme des Bärtigen aus dem Zimmer.
    William ging voran. Nemo folgte ihm. Die Decke auf Amiels Bettlager bedeckte es ordentlich zu allen vier Kanten hin. Auf dem
     Schreibpult lagen beschriebene Pergamente. Im Tintenfäßchen steckte die Feder. Sie hatte sich schwarz verfärbt. Nemo sagte:
     »Er hatte nicht einmal die Zeit, die Feder wegzulegen. William, ich glaube, sie sind noch im Haus.«
    Der Engländer trat an das Pult heran. »Dieser Brief ist erst zur Hälfte fertiggestellt. Wem hat er geschrieben?«
    Nemo kam neben ihn und blickte auf das Pergament. Es war übersät mit Buchstaben und Zahlen, klein nebeneinandergesetzt zu
     einem Teppichmuster. Er hatte das schon einmal gesehen. Es sah wie eine seltsame Art von Berechnung aus, oder wie ein Bild.
    William fuhr gedankenverloren mit der Hand über das Pult, als würde er es streicheln. »Amiel ist nicht dumm. Er enthält uns
     den Inhalt des Briefs vor, durch einen geheimen Schlüssel.«
    |385| »Aber wie liest ihn der Empfänger?«
    »Er kennt das Vorgehen. In der Regel läßt der Verschlüsselnde die Konsonanten unverändert, ersetzt aber die Vokale durch Ziffern
     oder durch die vorangehenden Konsonanten im Alphabet; beide Systeme abwechselnd, um den Lesenden in die Irre zu führen. So
     wird es auch an der päpstlichen Kurie oder hier am Kaiserhof betrieben, wenn man einem Spion an einem verfeindeten Fürstenhof
     schreibt. Dieser Brief sollte nach Frankreich gehen.«
    »Woran seht Ihr das?«
    William legte den Finger unter ein Wort. »Seht Ihr das? Welches Wort ist nur zwei Buchstaben lang und enthält ein X?«
    »Ax.«
    »So ist es. Er schreibt an seine Unterstützer. Oder seine Auftraggeber. Wie auch immer.«
    »Hier ist noch etwas«, sagte der Bärtige und reichte William ein schwarzes Buch.
    Der Engländer legte es auf das Pult. Er öffnete den schwarzen Buchdeckel und blätterte einige Seiten um. »Eine Vulgata, offenbar
     nur das Matthäus-Evangelium.« Er runzelte die Stirn. »Diese Zeile hat er unterstrichen:
beati mundo corde quoniam ipsi Deum videbunt.
Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen. Natürlich, das paßt ihm gut.« Er blätterte um. »Und hier
     wieder:
estote ergo vos perfecti sicut et Pater vester caelestis perfectus est.
Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist. Aber was macht er mit dem Vaterunser? Es steht
     doch auf derselben Seite, wie wir Vollkommenheit erlangen, allein durch Vergebung, durch die Liebe unseres Schöpfers, der
     unsere Fehltritte verzeiht. Wartet.« Er fuhr mit dem Finger die Zeilen entlang und murmelte. Dann rief er aus: »Ha!« Er pochte
     mit dem Finger auf eine Zeile. »Er wagt es, das Vaterunser zu verändern! Da heißt es bei Matthäus sonst, unser
tägliches
Brot gib uns heute, er aber hat hier einfügen lassen, unser
geistliches
Brot gib uns heute. Und bei ›vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern‹ steht eine |386| Anmerkung in griechischer Sprache, sinngemäß soviel wie: ›Gehorcht Gottes Geboten und haßt diese Welt!‹ Er will nicht begreifen,
     was Vergebung bedeutet. Wenn ich den Geboten ohne Fehler diene, brauche ich keine Vergebung. Wozu sollte Christus uns gelehrt
     haben, Gott um Vergebung zu bitten, wenn von uns erwartet wird, daß wir keine Fehler machen?«
    »Da steht noch etwas.« Nemo zeigte auf ein kleines Wort, das mit feiner Kohle an den Seitenrand geschrieben war.
» Soror.
Was bedeutet es?«
    »Wenn es Latein ist, heißt es Schwester. Den Sinn verstehe ich allerdings nicht. Hat er eine Schwester?«
    »Davon weiß ich nichts.«
    »Welche Dreistigkeit! Er schiebt der Heiligen Schrift eigene Worte unter, als hätte er Rang und Befugnis, Gottes Worte zu
     ersetzen. Einfach statt
tägliches
Brot
geistliches
Brot zu sagen! Seit Jahrhunderten schreiben die Mönche mit größter Sorgfalt die Bibel ab, wenn nur ein Buchstabe falsch ist,
     muß die ganze Seite neu geschrieben werden, und dann kommt einer wie Amiel daher und vergiftet das Wort

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