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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Wächter die Zügel. »Kümmere dich um mein Pferd.«
     
    In der Studierstube des Engländers bollerte der kleine Ofen. Es war warm, und es roch nach Tinte und Staub. Nemo streckte
     die kältesteifen Finger. Sie kribbelten von der plötzlichen Wärme. Die Schnabelschuhe hinterließen auf dem Boden Wasserflecken,
     in denen Schneestückchen schwammen. William schob die Pergamente auf dem Tisch zu einem Stapel zusammen, dann nahm er einige
     dicke, ledergebundene Bücher von einer Truhe und legte sie auf die freigeräumte Stelle des Tischs. Er wies auf die Truhe:
     »Setzt Euch.«
    Sagte er bewußt »Euch«? »Ich war bei Amiel. Habt Ihr beim Dominikaner vorgesprochen, damit er ihn gefangensetzt?«
    |380| Der Engländer blinzelte. Er fuhr sich mit Zeigefinger und Daumen über den Krötenmund. »Ich konnte nicht hingehen«, sagte er.
     »Zu gefährlich.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Mein Aufenthalt in München ist nicht in vollem Grade freiwillig, wißt Ihr das nicht? Er ähnelt in vielem einer Gefangenschaft.
     Ich bin exkommuniziert und im Unfrieden mit meinem eigenen Mönchsorden. Wo soll ich hingehen? Nur in der Nähe des Kaisers
     genieße ich Schutz. Wenn ich in ein Franziskanerkloster reise, weiß ich nicht, ob sie mich überhaupt aufnehmen, und wenn sie
     mich aufnehmen, liefern sie mich womöglich an den Papst aus. Ich habe als Exkommunizierter keine Rechte, die mich schützen.«
     Er seufzte und ließ die Hand sinken. »Ich weiß, daß ich Euch enttäusche. Aber ich bin sozusagen vogelfrei. Und der Dominikaner
     ist hier, um Menschen wie mich zu fangen.«
    »Ihr wolltet doch dafür sorgen, daß Amiel rasch in Ketten gelegt wird!«
    »Ich habe jemanden geschickt. Er hat meine Botschaft sicher wortgetreu übermittelt.«
    Auf dem Marktplatz war ihm der Engländer groß vorgekommen, ein Recke in der Mönchskutte, aufrecht und durch nichts zu schrecken.
     Hier in seiner Schreibstube erschien er Nemo alt und schwach. Die weißen Haare hingen wie Flaumfedern um seinen Kopf, die
     nackte Stirn, die zu einem Buckel in der Mitte des Kopfes hinaufstrebte, und die abstehenden Augenbrauen gaben dem Gelehrten
     das Aussehen einer Krähe. »Heute nachmittag auf dem Marktplatz wart Ihr bemerkenswert mutig. Jeder hat über Eure Unerschrockenheit
     gestaunt. Ich bitte Euch, kämpft mit der gleichen Inbrunst um Adelines Leben!«
    »Tapferkeit ist das rechte Maß zwischen Furcht und Übermut. Nochmals zum Inquisitor zu gehen, wäre unvernünftig gewesen, nach
     dem, was ich auf dem Marktplatz gesagt habe. Aber ich verspreche Euch, ich werde für Eure Geliebte alles tun, was in meiner
     Macht steht.«
    |381| »Ich weiß, daß Amiel eine Menge zuzutrauen ist.« Er faßte sich an den Hals, das Gefühl des kühlen Eisens war plötzlich wieder
     da. »Er hat mir einen Dolch an die Kehle gesetzt und war kurz davor zuzustoßen. Aber wir können nicht länger warten. Wir brauchen
     Bewaffnete, William. Helft Ihr mir, Adeline zu befreien?«
    »Wo ist sie?«
    »Im Haus des Ratsherrn Pötschner. Amiel hält sie dort im Weinkeller gefangen.«
    »Wie konnte ich dem Mädchen nur von dem Gift erzählen!« Der Engländer preßte die Faust gegen seine Stirn. »Der Hauptmann der
     Leibgarde wird nicht leichtfertig Bewaffnete hergeben, bei dem, was heute geschehen ist. Sie werden gebraucht, um den Kaiser
     zu beschützen. Aber einen Teil der Garde müssen wir bekommen. Adeline soll keine Stunde länger in der Gewalt des Irren bleiben.«
     
    Vier Wachen bekamen sie, Männer in schweren Stiefeln, die nach Bier rochen. Den ganzen Weg zum Haus des Ratsherrn Pötschner
     über belachten sie einen Scherz, den sie wohl noch in der Wachstube gerissen hatten. Nur der schmächtige Wachmann, den sie
     ganz hinten laufen ließen, lachte nicht. Er schien mit seinen Gedanken woanders zu sein. Auf Höhe des Hauses Schrenk blieb
     William stehen und funkelte die Männer böse an. »Euch scheint zu entgehen«, sagte er, »daß diese Stadt sich in schwerer Not
     befindet! Wann habt Ihr zuletzt einen Menschen erschlagen? Womöglich tut Ihr das in der nächsten Stunde. Das ist keine Zeit,
     die man mit Gelächter verbringen sollte.«
    Die Männer duckten sich. Sie sahen ehrlich erschrocken aus. »Wie Ihr wünscht, Herr«, sagte der Bärtige, der seine beiden Kumpanen
     zuvor besonders hartnäckig zum Lachen angestachelt hatte. »Wir wußten nicht, wie ernst es ist.«
    »Es ist todernst.« William ging weiter, und sie folgten ihm. Vor dem Haus der Familie Pötschner

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