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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Ihre Augen strahlten immer noch, wie sie es vor zehn Jahren getan hatten. Wenn sie
     allein waren, wußte sie ihn durchaus mit ihrer Frechheit sprachlos zu machen.
    Der Sänger hatte die Unterlippe vorgeschoben und musterte finster die Spielleute, als müsse er gründlich bedenken, ob ihm
     ihre Musik gefiel. Fürchtete er, er könne in Ungnade fallen, weil die drei dem Kaiser besser gefielen als seine neuen Lieder |390| über Jagd und Minne? Auch Giselberga, die alte Gräfin, sah voller Mißfallen zum Kamin.
    Auf der anderen Seite saß Reinhart von Westerburg, der Kriegsmann aus dem Rheinland. Er war ein loyaler Gefolgsmann, die Art,
     die ein Kaiser brauchte, um seine Herrschaft über Jahrzehnte aufrechtzuerhalten.
    Dann Prior Konrad. Ludwig rechnete es ihm hoch an, daß er hier am Hof zum Abendessen erschienen war, obwohl der Großinquisitor
     in seinem Kloster weilte. Es war ein Zeichen der Treue, er zeigte, daß er auf seiner Seite stand und sich nicht von der Kirche
     einschüchtern ließ, obwohl sich das Augustinerkloster nicht mit dem Papst überworfen hatte. Seit mehr als zehn Jahren war
     er sein Beichtvater und oberster Hofgeistlicher, und er bewies heute erneut, wo sein Herz schlug.
    Doktor Marsiglio Raimondini von Padua, der Leibarzt. Ebenso über zehn Jahre in seinem Gefolge. Es war wichtig, einen Arzt
     zu haben, dem man vertrauen konnte. Wie er ihn so betrachtete, fragte sich Ludwig, ob Häßlichkeit und Schläue irgendwie zusammenhingen.
     Marsiglios Gesicht war rund und klein, er hätte als Gnom in ein Märchen eingehen können. Dennoch war er nicht umsonst Rektor
     der Sorbonne gewesen.
    Magister Heinrich von Thalheim, sein Hofkanzler seit zwölf Jahren, war ein schwieriger, aufbrausender Mensch. Aber er war
     auf Gedeih und Verderb mit Ludwig verbunden, seit er eine Schrift über die »Richtigkeit der Prozesse des Papstes Johann XXII.
     gegen Kaiser Ludwig« verfaßt hatte und mit dem Kirchenbann belegt worden war. Er verstand sich nicht besonders gut mit William
     Ockham, obwohl beide Franziskaner waren. Wo war der englische Gelehrte?
    »Wann kommt der Mandelpudding, Mutter?« fragte Wilhelm. »Es sollte doch heute abend Mandelpudding geben!«
    Margarete legte den Finger auf den Mund und schüttelte den Kopf. Wilhelm seufzte. Gelangweilt wendete er sich wieder den Spielleuten
     zu. Er hatte noch nie viel Geduld besessen. Johanna sah ihn streng an. Obwohl sie ein Jahr jünger |391| war als er, spielte sich die kleine Engländerin auf wie eine Erzieherin.
    Er konnte allen hier vertrauen. Ludwig entschloß sich, die heikle Frage zu stellen, die ihn bezüglich Englands beunruhigte.
     Lange genug hatte er auf die Rückkehr der Delegation und seines Englandkenners warten müssen. Er beugte sich über den Tisch
     hin zu Magister Ulrich Hofmaier. »Von den vierhunderttausend Florentiner Gulden, die mir König Eduard in Aussicht gestellt
     hat, wenn ich gegen Frankreich in den Krieg ziehe, wieviel wird er wirklich aufbringen können?«
    Ulrich warf einen kurzen schmerzlichen Blick zu seiner Frau Mechtild, als wolle er ihr sagen, daß er es habe kommen sehen,
     und sagte dann: »Ich weiß es nicht, Majestät.«
    »Ulrich, ziert Euch nicht. Ihr stammt aus berühmter Augsburger Kaufmannsfamilie. Ihr werdet doch eine wirtschaftliche Einschätzung
     geben können!«
    Er wiegte den Kopf hin und her. »Bedaure«, sagte er schließlich, »Majestät, es ist mir nicht möglich.«
    »Ich verlange es. Ihr wart Prokurator der englischen Nation! Und ich habe Euch nicht umsonst des öfteren an den englischen
     Hof geschickt, hoffe ich. Gebt mir Eure Einschätzung, oder ich kündige Eure Stellung als kaiserlicher Protonotar. Die Reichskanzlei
     bedeutete Euch nichts?«
    Nun sah der Magister noch gequälter aus. »Doch, sie ist mir kostbar, Majestät. Es ist nur schwer zu erraten, was die Pläne
     des englischen Königs –«
    »Eine Zahl, Ulrich!« Der Mann trieb ihn zur Weißglut.
    »Sicher nicht die volle Summe, Majestät. Von den vierhunderttausend, nun, ich denke, er wird einhunderttausend aufbringen
     können.«
    »Einhunderttausend nur!« Er hatte mit einer Ernüchterung gerechnet, aber nicht mit derart aufrüttelnden Neuigkeiten.
    Diener setzten eine große dampfende Schale vor ihm ab. Der säuerliche Geruch von Fisch zog durch den Raum. Vor jeden an der
     Tafel wurde eine leere Schüssel gestellt, und die Diener teilten silberne Löffel aus.
    |392| »Wir reden später weiter«, sagte er. »Die Sache will gut

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