Das Mysterium: Roman
Gottes nach Gutdünken.«
Gänsehaut überzog Nemos Arme. »William.«
»Ja?«
»Der Perfectus hat davon gesprochen, den Kaiser zu vergiften.«
William Ockham erbleichte. »Was sagt Ihr da?«
»Ich weiß nicht, wie ich das vergessen konnte. Als Ihr gerade ›vergiftet‹ sagtet, fiel es mir wieder ein. Er behauptete, man
würde versuchen, ihn dazu zu zwingen. Wir sollten den Kaiser warnen.«
»Unverzüglich!« Der Gelehrte wendete sich an den Bärtigen. »Tragt die beiden Bücher und die Briefe zum Inquisitor in das Augustinerkloster.
Geht nicht allein, nehmt alle drei Gefährten mit. Der Perfectus wird die Schriftstücke nicht gern in die Hände des Dominikaners
gelangen lassen. Seid auf der Hut, womöglich greift er Euch an.« Zu Nemo sagte er: »Gehen wir, rasch.«
|387| »Er ist noch hier im Haus«, sagte Nemo. »Wir sollten uns das obere Stockwerk ansehen, ich bin sicher, daß wir ihn dort finden.
Ihn und Adeline.«
Im Flur begegnete ihnen der schmächtige, stille Wächter, er nahm gerade die letzten Treppenstufen. »Ich war im oberen Stockwerk«,
sagte er. »Niemand ist dort.«
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Die drei Spielleute vor dem Kamin bewegten sich beim Musizieren, als sei ihnen ein Funke in die Kleider geflogen. Ihre Füße
standen nie still. Hüften und Schultern zuckten. Dabei warfen sie sich Blicke zu und spornten sich gegenseitig an. Das Trumscheit
bildete den Grund des Liedes, Schalmei und Fiedel umtanzten es melodiös. Der Bogen des Fiedlers sauste über die Saiten. Die
Wangen des Schalmeibläsers waren gerötet. Immer wieder schnappte er nach Luft, um daraufhin mit um so mehr Inbrunst weiterzuspielen.
Ludwig schüttelte den Kopf. Derartig beflissene Musiker hatten sie lange nicht gehabt. Sie heiterten ihn auf. Sicher hatte
Margarete sie gebeten, besonders fröhlich zu spielen heute abend. Sie hatte es an seinem Gesicht gesehen, daß die Delegation,
die heute aus Avignon zurückgekehrt war, schlechte Nachrichten gebracht hatte.
Papst Benedikt wollte nicht einlenken. Wenn ein Robert Bruce exkommuniziert wurde, weil er den Lord von Badenoch in der Kirche
von Dumfries getötet hatte, dann war das zu verstehen, das war ein Vergehen, das Gott mißachtete. Aber er, Ludwig? Womit hatte
er den Zorn der Kirche verdient? Es ging um Macht, das war alles.
Was ihm Ulrich berichtet hatte aus Avignon! Es kehrte ihm vor Wut den Magen um. Papst Benedikt baute sich einen Palast neben
der Kirche in Avignon. Ins Schlafgemach malten sie aufwendige Wandgemälde, blauen Grund und davor Eichhörnchen, Vögel, goldene
Vogelkäfige, Weinblätter, verzierte Arabesken. Das angrenzende Arbeitszimmer war mit Teppichen ausgelegt, damit des Papstes
Füße nie den kühlen Boden berührten. Von den Privatgemächern aus zeigte ein herrlicher Ausblick die zum Palast gehörenden
Gärten und Obstplantagen |389| im Osten, bei Sonnenaufgang mußte es eine Freude sein, an ein Fenster zu treten und hinauszuschauen.
Benedikt ließ es sich gutgehen. Kaum einer war so fett wie er. Kein Zweifel, er aß nur das Beste. Während er an seinen Pomeranzen
kaute, machte er Ludwig das Leben schwer, ihm, der keine Mühen scheute.
Margarete lächelte ihn an. Als wollte sie ihn bitten, doch nicht diesen trüben Gedanken nachzuhängen. Die älteren Kinder waren
allesamt an anderen Höfen, aber da saß sie, seine Gemahlin, umgeben von den Jüngsten: der achtjährigen Elisabeth, und Wilhelm,
der dieses Jahr sieben wurde. Prinz Albrecht saß auf dem Schoß einer Amme, er zeigte mit seinem dicken Säuglingsfinger auf
die Spielleute und versuchte, die Amme durch Auf- und Niederwerfen seines Gesäßes dazu zu bewegen, mit ihm zur Musik Hoppe-Hoppe-Reiter
zu spielen. Die englische Prinzessin Johanna sagte: »Bumpety, bumpety, rider.« Sie liebte den kleinen Prinzen. Jedes Kind
liebte es, mit Jüngeren zu spielen, die ihm vermittelten, daß es schon groß war.
Ludwig lächelte zurück. Sechs Kinder hatte Margarete ihm geschenkt. Zudem war sie für Stephan und für Mechthild, seine Ältesten,
eine gute Stiefmutter. Diese Frau erwies sich als unerwarteter Segen. Es war eine politische Heirat gewesen, Margarete verband
ihn über ihre Schwester mit König Eduard III. von England und war gleichzeitig die Nichte König Philipps von Frankreich. Und
doch sang Hadamar von Laber zu Recht Minnegesänge über sie. Margarete erweckte in ihm, Ludwig, zugleich Gedanken der hohen
wie der niederen, körperlichen, Minne.
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