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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Augen blicken klar. Marsiglio muß die Dinge schwärzer
     malen, um am Ende als Wunderheiler dazustehen. Ich frage mich, warum der Perfectus so gehandelt hat. Worauf wartet er? Warum
     hält er den Inquisitor hin? Ich werde das Gefühl nicht los, daß ein Ereignis auf uns zukommt, das wir unterschätzen.«

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    William Ockham hatte den Einfall, daß der Hund, den Adeline so geliebt hatte, eine Spur zu ihr finden könnte. So sorgte er
     für einen kaiserlichen Befehl, Nemo das Tier zusammen mit einem Hundeführer zur Verfügung zu stellen.
    Tag um Tag ließ Nemo die weiße Bracke am Stoffstreifen schnuppern, den er vom Keller mitgenommen hatte. Er hielt ihn ihr vor
     die Schnauze, die schwarze Hundenase weitete sich, und ein fragender Blick traf ihn aus den diensteifrigen Augen des Tiers.
     »Such«, sagte Nemo, und schon lief das Tier mit zum Boden gesenktem Kopf voran. Der Hundeführer wurde an der Leine hinterhergezogen,
     während die Bracke jeder Mauer folgte, an den Türen witterte, an den Brunnen, den Treppen und Krämerständen. Der federnde
     Gang des Hundes machte Mut, jeden Tag begann er die Suche mit Begeisterung, hielt den Kopf gleichmäßig über dem Boden, während
     die Läufe ihn vorantrugen.
    Dennoch, Abend für Abend waren die Lefzen der Bracke und die braunen Hängeohren staubig geworden, ohne daß sie Adelines Duft
     aufgespürt hatte. Der Perfectus war verschwunden, und mit ihm das Kammermädchen. Welche Qualen mochte sie leiden! Er hatte
     ihr im Keller zum Abschied versprochen, daß sie binnen einer Stunde frei sein würde. Nun waren es Tage und Wochen.
    Der Inquisitor setzte seine Befragungen fort. Jeden Sonntag feierte er eine Messe in der Frauenkirche. Die Kirche war dann
     so voll, daß die überzähligen Menschen in Trauben vor dem Eingang und den Fenstern standen, um wenigstens die Gesänge zu hören.
     Alle mußten zu ihm kommen, kein Priester wagte es, in Gegenwart des Großinquisitors das päpstliche Interdikt zu brechen und
     in der Stadt des Ketzerkaisers eine |403| Messe abzuhalten. Die Dominikaner aber besaßen vom Papst das besondere Recht, auch während des Interdikts Messen feiern zu
     dürfen.
    Der Inquisitor machte guten Gebrauch davon. Jede Predigt leitete er mit dem Hinweis ein, daß er die päpstliche Vollmacht besitze,
     Exkommunikationen auszusprechen oder den Kirchenbann auf Förderer des Häretikers zu verhängen, daß er denen aber Ablaß gewähren
     werde, die dem bösen Treiben abschworen; alle anderen werde er nach Ablauf der Gnadenzeit in Zusammenarbeit mit dem Bischof
     und den weltlichen Amtsträgern durch Todesurteile läutern.
    Die Warnungen bewirkten, daß immer mehr Münchner die Stadt verließen. Sie flohen aus Angst vor dem Urteil des Inquisitors,
     wollten lieber in einer fremden Stadt von vorn beginnen, als womöglich auf dem Münchner Marktplatz in Feuerflammen ihr Ende
     zu finden. Bald standen zahlreiche Häuser leer. Die Stadträte flehten den Inquisitor an, seine Strafandrohungen zu mäßigen,
     sie boten ihm Geld, sie boten ihm Stiftungen an die Kirche, aber er blieb hart.
    Nemo zog es zu Adelines Mutter. In der Kate der gebrechlichen Frau hatte er das Gefühl, Adeline wenigstens auf eine gewisse
     Weise nah zu sein. Sie sprachen von ihr wie von einer Verstorbenen, schwärmten, lobten. Die meiste Zeit redete ihre Mutter,
     und Nemo hörte zu. Die Mutter ließ auch das Beschämende nicht aus, sie gestand Nemo, wie sie Adeline während der Kindheit
     behandelt hatte, und es verstärkte nur seine Sehnsucht nach ihr, weil er alles wiedergutmachen wollte, was sie durchlitten
     hatte. »Ich müßte ins Spital gehen«, sagte Adelines Mutter, »ich bin vor lauter Sorge zu schwach, um zu essen, dort helfen
     sie Menschen wie mir. Aber was, wenn ich gehe, und Adeline kommt nach Hause, und ich bin nicht da? Das darf auf keinen Fall
     passieren.«
    Nemo erwiderte nichts. Wie wahrscheinlich war es, daß Adeline plötzlich auftauchte? Der Perfectus schien München aufgegeben
     zu haben, sie waren ihm zu nahe auf das Fell gerückt. Offenbar hatten die Torwachen versagt, und er war |404| entkommen. Adeline hatte er mit sich genommen, vielleicht aus Rache für Nemos Verrat.
    Drei Tage bevor die Gnadenzeit zu Ende sein sollte, ging plötzlich das Gerücht um, der Perfectus sei gefangen. Es hieß, die
     Ritter des Dominikaners hätten ihn bei einer verbotenen Versammlung der Bruderschaft der Lederer im Hackenviertel aufgetrieben
     und ihn in Ketten

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