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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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zuzieht. Er hat als dessen Teufelsjünger übelschmeckende,
     leichtfertige, gotteslästerliche Worte verbreitet, die für fromme Ohren ebenso anmaßend wie anstoßerregend sind. Er sei verdammt
     und verworfen.« Er gab ein Zeichen.
    Der Henker trat mit einer brennenden Fackel an den Scheiterhaufen heran. Nemo, der nahe dem Scheiterhaufen neben William Ockham
     in der Menge stand, fühlte körperliche Schmerzen beim Anblick der Flamme. Ihm war, als verbrenne er sich die Haut am Hals.
     »Es ist Bartholomäus«, sagte er. »Müßte nicht ich genauso dort stehen und verbrannt werden?«
    »Seht Ihr Amiel irgendwo?« fragte William.
    Nemo ließ seinen Blick über die Menge streifen. Gesichter über Gesichter, alte Frauen, junge Männer, Greise, Handwerkergesellen,
     Kinder, die auf die Ummauerung des Marktbrunnens geklettert waren, um besser sehen zu können. Amiel sah er nicht.
    »Gnade!« schrie Bartholomäus plötzlich. Es klang unmenschlich, als hätte ein Tier geschrien. »Habt Erbarmen!« Er war heiser.
    Der Henker blickte zurück zum Inquisitor, der aber wies |407| mit strenger Miene zum Scheiterhaufen hin. Die rote Gesichtshälfte gab ihm ein überirdisches Aussehen, als sei er kein Mensch,
     sondern Engel oder Dämon. Er entschied über Leben und Tod. Diese Macht schien ihm innezuwohnen, ihm, der nie geboren war,
     der aus dem Nichts kam und in das Nichts wieder gehen würde, sobald die Stadt geläutert war. Der Henker senkte die Fackel
     an das Holz. Er wartete, bis es Feuer gefangen hatte. Dann ging er zu einer weiteren Stelle und zündete sie an, bis er den
     Scheiterhaufen einmal umrundet hatte und das Holz an vielen Stellen brannte.
    »Ich bereue«, rief Bartholomäus. »Ich will mich bekehren!« Es sah aus, als suche er mit seinen schwarzen Augenhöhlen ein Gesicht,
     einen Menschen, den er ansehen und um Gnade bitten könnte. Er versuchte, sich am Pfahl aufzurichten, sank aber unter Schmerzen
     und Wimmern wieder zusammen. Rauch wölkte zu ihm empor.
    Der Inquisitor sagte: »Ebenso verbrennen wir diese Bücher und Schriften, die wir im Haus des sogenannten Perfectus fanden.
     Seine Ketzerlehren sollen ausgetilgt werden.« Er übergab dem Henker das rote und das schwarze Buch sowie einige Pergamente,
     und dieser schritt zurück zum Scheiterhaufen und warf sie in das Feuer.
    Bartholomäus schrie aus Leibeskräften. »Wo seid Ihr?« schrie er. »Lieber Inquisitor, wo seid Ihr? Helft mir!«
    »Du wirst gereinigt. Dann kannst du in den Himmel«, sagte der Dominikaner. Auf seiner roten, vernarbten Gesichtshälfte glänzte
     der Feuerschein.
    »Ich möchte gern treu der Kirche dienen. Ich möchte leben und Gutes tun. Bitte, habt doch Erbarmen! Ihr seid ein freundlicher
     Mann, helft mir, ich bitte Euch!«
    »Mach es dir nicht so schwer. Du mußt geläutert werden, verstehst du das nicht?«
    Die Flammen ergriffen das Büßerhemd. Bartholomäus brüllte. Es waren keine verständlichen Worte mehr. Das Feuer ergriff ihn
     bis zum Kopf und sog seinen Körper ein, schwärzte ihn, ließ ihn sich aufbäumen.
    |408| Es wurde still. Nur noch das Feuer loderte, brauste. Der Pfahl knackte und stiebte Funken in den Himmel.
    »Gott, sei ihm gnädig«, sagte William leise.
    Der Wind drehte sich und blies Rauch und Asche über den Platz. Die Menschen hielten sich die Ärmel vor den Mund. Sie kniffen
     die Augen zusammen und husteten. Nemo duckte sich hinter den Vordermann und fragte: »Was vergibt Gott? Woher weiß ich, daß
     er mir vergeben hat? Warum hat ausgerechnet Bartholomäus Strafe und Läuterung verdient und nicht wir alle, die wir hier stehen?
     Jeder von uns hat gelogen, gestohlen, betrogen.«
    »Und jeder hat die Todesstrafe verdient«, sagte William. »Gottes Gesetz unterscheidet nicht kleine Vergehen und große Vergehen,
     jeder Verstoß gegen sein Gebot trennt von ihm und bewirkt den Tod. Eine Pflanze braucht das Licht, und wir brauchen Gott.
     Wenn wir uns in den Schatten bewegen, verkümmern wir. Wir sterben. Der Tod ist die Folge unserer Auflehung gegen den lebenspendenden
     Gott.«
    Nemo hustete. »Also sollten wir alle brennen?«
    »Gott hat einen Weg gefunden, das Licht zu uns zu schicken. Er hat seinen Sohn auf die Erde gesandt. Der ist für uns gestorben.«
    »Was ist mit Mördern? Die müssen doch trotzdem hingerichtet werden. Was ist mit Amiel?«
    »Christus ist auch für die Mörder gestorben. Ja, das ist er. Der Schächer am Kreuz war ein Mörder, der, den sie neben Christus
     gekreuzigt haben.

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