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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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den er sich mit Lumpen dick gestopft hatte, fühlte er die verborgenen Fesselseile, den Knebel, die Eisenfeile.
    Die Straße vor dem Gefängnisturm lag verlassen da. Ein Käuzchen rief seinen Nachtschrei. Es war ganz nah, es mußte im Geäst
     des Baumes sitzen. Er sah hinauf. Es ließ sich nicht ausmachen. In seinem Versteck rief es leise:
Huh. Huh. Huh.
    Er ging in die Hocke. »Kleine Mieze, kommst du?« Die Katze ließ das Fleisch liegen und schnupperte an seiner Hand. Sie maunzte
     leise. »Du mußt still sein. Du bist doch jetzt satt. Keinen Laut, hast du verstanden?« Er kraulte ihr den Kopf. Dann nahm
     er sie hoch und schob sie in die verborgene Tasche unter dem Habit. Er hob auch den Lederlappen mit dem Kalbfleisch auf, wickelte
     es ein und schob sich den Lappen in die Lumpenpolster am Bauch. »Wenn du brav warst, bekommst du nachher noch ein wenig«,
     sagte er.
    So viel konnte mißlingen. Und was gewann er, wenn sein Vorhaben glückte? Nichts. Er tat es nur für Amiel. Noch konnte er umkehren.
     Er fuhr sich mit der Hand über die frische |450| Glatze. Nie hätte er gedacht, daß Haare so sehr wärmten. Der Kopf war kalt, allein vom Wind. Er trat hinter der Ecke des Jägerhauses
     hervor und ging mit raschen Schritten zum Gefängnisturm. Die schwere Eichentür war mit Eisen beschlagen. Da würde eine Axt
     nie etwas ausrichten. Er hämmerte mit der Faust dagegen.
    Nichts geschah.
    Er hämmerte erneut an die Tür. Endlich schabte ein schwerer Riegel, und die Tür öffnete sich. Eine Fackel blendete ihn. Die
     Hitze der Fackel strich fühlbar über sein Gesicht, während sich die Flamme vor ihm hin und her bewegte.
    »Wer seid Ihr, was wollt Ihr?«
    Vier Tage hatte der Schneider gebraucht, um die zwei Dominikanerhabite zu nähen. Er hatte die Zeit genutzt und das junge Kätzchen
     gezähmt. Nun würde sich erweisen, ob die Verwandlung geglückt war. »Ich bin Pater Eugenius. Der Inquisitor schickt mich. Amiel
     soll morgen verbrannt werden, und ich bin hier, um ihm eine letzte Gelegenheit zur Reue zu geben, so daß er als Erlöster verbrannt
     wird und nicht in die Hölle einfährt.«
    »Das muß ein Irrtum sein. Es ist kein Scheiterhaufen errichtet.«
    »Der Inquisitor hat es bewußt geheimgehalten, damit es keinen Aufruhr im Volk gibt. Morgen früh, wenn die ersten zum Markt
     kommen, wird der Ketzer bereits am Pfahl stehen. Bevor sie sich zusammenrotten können, brennt er.«
    »Ich bin nicht unterrichtet. Ich kann Euch nicht zum Gefangenen vorlassen. Warum hat man niemanden geschickt, den ich kenne?«
    »Seht Ihr nicht, daß ich Dominikaner bin?«
    »Ja, natürlich. Aber Ihr müßt verstehen –«
    »Nein, Ihr müßt eines verstehen: Wenn dieser Mann unversöhnt stirbt, und Ihr tragt die Schuld daran, wird Euch sein Geist
     heimsuchen. Ihr findet keine Ruhe mehr, bis zu Eurem Tod, es sei denn, wir helfen Euch.« Er wartete einen Augenblick. »Aber
     wie Ihr meint. Wir sehen uns dann wieder, wenn |451| wir zum Exorzismus in Euer Haus kommen.« Er drehte sich um, stieg die zwei Stufen hinab, die zur Turmtür hinaufführten.
    »Wartet! Ihr könnt zu ihm. Aber bleibt nicht zu lange.«
    Er betrat den Turm. Sie gingen eine steinerne Treppe hinab. Im Raum über dem Kerker saßen drei weitere Wachen an einem Tisch,
     auf den mit Kreide ein Spiel aufgemalt war, das er nicht kannte. Kieselsteine lagen da und zwei Würfel aus Knochen. Die Wachen
     sahen ihn verwundert an.
    »Für Amiels Seele«, sagte der Wächter, der ihn hereingelassen hatte, »der Perfectus wird morgen verbrannt.« Er steckte seine
     Fackel in eine schmiedeeiserne Halterung an der Wand und bückte sich zu einer Klappe im Boden. Ein Ring war daran befestigt,
     an diesem zog er und öffnete die Klappe. Die anderen holten einen Korb herbei. Ein Seil führte vom Korb zu einigen Rollen
     an der Decke und von dort wieder hinunter. Es lag lang aufgerollt am Boden, der Korb mußte wohl weit in die Tiefe herabgelassen
     werden. »Da hinein«, sagte der Wächter. Er nahm eine der anderen Fackeln von der Wand und gab sie ihm.
    Nemo umfaßte fest die Fackel. Wollte er hinunter in den finsteren Kerker? Wenn die Wächter Verdacht schöpften und einer von
     ihnen zum Kaiserhof ging, um beim Inquisitor nachzufragen, dann kehrte er womöglich nie wieder ans Tageslicht zurück.
    Er stieg in den Korb. Drei Männer faßten das Seil, der vierte schob ihn mit dem Korb zum Loch. Das Seil knarrte. Über ihm
     knirschten die Rollen. Steinstaub rieselte auf ihn nieder.

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