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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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zum Kaiserhof hin.
    Dort, der dicke kurzhaarige Mann, war das Trumm? Es |444| mußte Trumm sein, andere Flößer liefen an seiner Seite. Und gleich daneben der verrückte Krämer, der Dinge vor sich selbst
     versteckte, weil er sie so gern wiederfand. Da, bei den Frauen, war das nicht der Jagdgehilfe, der ihn so oft an das Fenster
     vorgelassen hatte, von dem aus er Adeline beobachten konnte? Wo gingen sie alle hin?
    Nemo folgte ihnen. Kinderhände tätschelten seine Schimmelstute. Im zweiten Stockwerk eines Hauses bellte ein Hund aus dem
     Fenster heraus die Tauben an, die sich auf den Fensterläden plusterten.
    Vor dem Kaiserhof kam die Menge ins Stocken. Man stand dichtgedrängt, es ging weder nach vorn noch zurück. Alle blickten auf
     das Tor, als würde jeden Augenblick der Kaiser daraus hervortreten, gekrönt und im Mantel von Hermelin und Scharlach. Dann
     kam noch einmal Bewegung auf, Nemo wurde zurückgeschoben, der Schimmel legte die Ohren an, er schnappte nach einer Schulter.
     Warum drängelten sie so? Sie machten Platz für Amiel.
    Der Perfectus stellte sich vor das Tor des Kaiserhofs und rief: »Ich bin hier. Ihr wollt mir den Prozeß machen?«
    Nichts geschah.
    Er ging einige Schritte zurück, und rief erneut: »Hier bin ich! Ich fürchte mich nicht vor Euch! Sagt mir, was sind meine
     Sünden?«
    Da lösten sich die beiden Torflügel voneinander, der Spalt wurde größer, und sie schwangen auf. Zwanzig kaiserliche Wachen
     standen dort, mit Helmen, Spießen, gelben Waffenröcken. Aus ihrer Mitte trat William Ockham. Er stellte sich vor den Torbogen
     und sah schweigend auf die Volksmenge.
    Die Menschen begannen zu tuscheln. Ihnen war unwohl unter dem Blick des Franziskanermönchs.
    »Ihr wolltet mich sehen?« Amiel breitete die Arme aus. »Hier bin ich.«
    Es war, als hätte William Ockham es nicht gehört. Er stand schweigend und sah Amiel nicht einmal an, blickte nur über die
     Menschenmenge wie ein enttäuschter Vater über seine |445| Kinderschar. Dann, endlich, sagte er: »Ihr habt Euch gegen Euren Kaiser aufgelehnt. Schlimmer noch, Ihr habt Christus verspottet.
     Warum? Weil sich der Mond rot färbte. Ein Wunder hat Euch vom Glauben abgebracht. Nun, dann soll ein Wunder Euch wieder zum
     Glauben bringen.«
    Die Menge raunte. Er würde ein Wunder wirken? Die Magier würden miteinander kämpfen, sie würden sich mit Blitzstrahlen verbrennen,
     Feuer aufeinander schleudern! Die Menschen wichen zurück.
    »Ich wollte Euch eine Mondfinsternis zeigen, damit Ihr seht, daß dies natürlich geschieht und keiner Zauberkräfte bedarf.
     Aber es ist keine von Gott eingerichtet durch die Bahn des Mondes für diese Zeit. Darum zeige ich Euch etwas anderes.«
    Nichts geschah.
    Zeit verstrich. Die Menschen entspannten sich wieder. Es würde keinen Kampf geben. Der Franziskaner redete bloß. Die ersten
     lachten. »Ja, zeige es uns«, rief jemand. Ein anderer sagte: »Was ist es? Die Tauben dort drüben? Sind es die Wolken am Himmel?
     Oder der kleine Hund da vorn?« Gelächter war die Antwort.
    William Ockham stand da, ungerührt von ihrem Spott. Seine Miene war ernst. Bald wanden sich die ersten unter dem Blick des
     Gelehrten. Etwas stimmte nicht. Es wurde dunkler. Es wurde kalt.
    Das letzte Gelächter verstummte. Die Menschen spürten es, eine furchtbare Macht entfaltete sich. Noch bevor die ersten etwas
     sahen, weitete die Angst ihre Augen.
    Wie machte er das? Nemo hielt den Atem an. Es wurde tatsächlich immer dunkler und kälter. Es war, als würde sich ein Schatten
     auf die Menge niedersenken, ein Fluch, der aus Williams Augen auf sie herniederfuhr.
    Eine angsterfüllte Stimme rief: »Die Sonne!« Die Menschen sahen nach oben. Ein Schatten faserte in das Licht hinein, und der
     Himmel, der eben noch hell erleuchtet gewesen war, verdunkelte sich, als würde es Abend werden.
    |446| »Wer kann sagen, woher die Vögel wissen, wohin sie ziehen?« sagte William. »Wer weiß, was hinter den Sternen liegt? Wer kennt
     die Worte, die die ersten Menschen sprachen?«
    Bei Nemo sagte ein Mann zu seinem Nebenmann: »Wir lassen die Sache. Mir ist das nicht geheuer. Amiel hat den Mond verfärbt.
     Der Engländer aber löscht die Sonne aus! Er ist mächtiger als Amiel.« Sie verbargen ihre Schwerter am Leib.
    William rief: »Ein Wunder ist es, wenn Gott die Gesetze der Natur aufhebt, wenn er das Meer teilt und ein ganzes Volk im Trockenen
     hinübergehen läßt, oder wenn er fünf Brote und zwei Fische für

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