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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Zehntausend reichen läßt, die Bevölkerung von ganz München.
     Ein Wunder ist es, wenn Gott einen Toten vom Leben wiedererweckt – so wie er uns alle wiedererwecken wird. Was ihr hier seht
     aber, das Mysterium der Sonnenverfinsterung, folgt den Gesetzen der Natur, und wir können es erkunden, wie Jäger den Spuren
     eines Hirschs folgen. Gott hat solche Spuren hinterlassen, auf daß wir weise werden aus seinen Taten.«
    Es wurde immer schlimmer mit der Sonne. Bald war sie zur Hälfte erloschen. Dämmerung brach über die Stadt herein. Die Menschen
     fröstelten. Es war kalt wie in der Nacht. Niemand wagte es, auch nur einen Schritt fortzugehen. Womöglich überlebte man den
     Fluch nur in der Nähe des Franziskanermönchs, der ihn gewirkt hatte?
    William sagte: »Wenn sich der Mond verfärbt oder die Sonne verschwindet, sind das gottgegebene Schauspiele, wie der Regenbogen.
     Sie sind nicht menschengemacht. Hört mich an! Ein Mysterium ist ein Geheimnis, aber keine Magie. Geheimnisse lassen sich lösen.
     Wir werden nie alle von Gottes Geheimnissen enträtseln. Diese jedoch haben wir gelöst. Deshalb konnte Amiel euch den roten
     Mond ankündigen, und ich konnte euch verkünden, daß die Sonne sich verdunkeln wird. Kehrt zu Gott zurück, dem Schöpfer, der
     Sonne und Mond gemacht hat!«
    »Habt keine Angst!« rief Amiel. »Er kann euch nichts tun! Es gab einen Kreuzzug gegen die reine Kirche vor einhundert |447| Jahren. Damals jubelten unsere Feinde schon und dachten, sie hätten die Reinen ausgelöscht. Aber das haben sie nicht. Sie
     werden uns niemals auslöschen! Was er euch erzählt, ist klug, zugegeben. Schon immer hat die Kirche mit Schläue gegen die
     wahren Gläubigen angekämpft, gegen die Perfecti wie mich. Laßt euch davon nicht täuschen!«
    William tat, als habe er es nicht gehört. Er sagte: »Seid weise und rettet eure Stadt. Der Kaiser ist enttäuscht von eurem
     Verrat. Er hat ein Heer zusammengerufen, dem ihr nie und nimmer standhalten könntet. Bekehrt euch, ehe es zu spät ist!« Er
     sagte etwas zu den Wachen hinter sich, dann schritt er langsam auf Amiel zu. Der Perfectus wich zurück. Die Menge teilte sich,
     machte ihm Platz, aber sie hinderte William nicht daran, ihm zu folgen. Furcht stand den Menschen ins Gesicht geschrieben.
     Sie waren blaß, und ihre Stirnen waren zerfurcht. Väter stellten sich vor ihre Familien. Mütter zogen ihre Kinder an sich.
    »Es ist vorbei, Amiel«, sagte William.
    »Gott wird eine Heuschreckenplage schicken!« Amiels Stimme war plötzlich hoch und kehlig. Er hatte die Augen weit aufgerissen.
     »Eine furchtbare Heuschreckenplage! Laßt nicht zu, daß die gefallene Kirche sich meiner bemächtigt! Wer soll euch dann zur
     Erlösung führen?«
    Da war William heran. Er streckte die Hand aus. Voller Furcht hielt das Volk die Luft an. William nahm Amiel am Arm. Nichts
     geschah, kein Blitz erschlug ihn, er verbrannte sich auch nicht die Hand. Er zog Amiel ungehindert mit sich, ließ sich und
     ihn von den Wachen umringen. Der Perfectus wehrte sich nicht. Er ging mit. Nemo sah genauer hin. War da nicht etwas abgefallen
     von seinem Körper, eine Bürde, eine Last? Wie er dort zum Tor des Kaiserhofs geführt wurde, sah sein Gesicht verändert aus.
     Er wirkte plötzlich ruhig. Seine grünen Augen blickten voller Mitleid auf das Volk. Es war, als sei eine Maske von ihm abgefallen.
    Oh, sie waren einander so ähnlich! Beide hatten sie gemeint, ein anderer sein zu müssen, um den Menschen zu gefallen. |448| Welch verzweifelter Mensch mußte Amiel sein! Er, Nemo, hatte gestohlen und betrogen und gelogen. Amiel aber hatte Menschenleben
     auf dem Gewissen.
    Über ihnen hing die Sonne wie eine riesenhafte goldene Sichel am blauschwarzen Himmel. Der Perfectus drehte sich ein letztes
     Mal zur Volksmenge um. Er sagte nichts.

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    Ein letztes Mal, sagte er sich. Danach tust du es nie wieder! Er griff an seiner Brust nach dem Dominikanerhabit und fühlte
     darunter den Gros Tournois. Vergiß nicht, wer du bist. Gebuin, Händler in Frankfurt, zukünftiger Ehemann der Adeline.
    Warum hatten ihm die Eltern die Münze gegeben? War sie immer sein Spielzeug gewesen? Oder sollte sie ein Vorgeschmack auf
     den Schatz sein, den sie ihm vererbt hatten, wie ein Versprechen? Er verbot sich diese Gedanken. Er brauchte alle Sinne für
     das Wagnis, das vor ihm lag. In dieser Nacht zählte nicht die Vergangenheit. Er war hier, um einen Menschen zu retten. Am
     Bauch,

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