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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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log er? »Berichte mir über das Heer. Wie viele Reiter, wieviel Fußvolk?«
    »Ich weiß nicht, von welchem Heer Ihr sprecht, Amiel.«
    »Da ist kein Heer im Wald?«
    »Nein. Ich bin seit zehn Tagen unterwegs. Sechs Tagesreisen von hier habe ich einen kleinen Zug von Reitern gesehen und etwa
     zwanzig Bogenschützen, das ist alles. Seitdem bin ich keinem Heerhaufen begegnet.«
    Es gab kein Heer. Das erklärte, warum die Späher, die er ins |442| Umland sandte, stets mit leeren Händen zurückkehrten. Zwei waren fortgeblieben, und er hatte geglaubt, daß man sie gefangen
     hatte oder daß sie zum Feind übergelaufen waren, er hatte ihr Verschwinden als Beweis dafür genommen, daß sich ein Heer nahte.
    »Ich bin hier, um mit Euch zu sprechen«, sagte Nemo.
    »Das hat Zeit bis später.« Er winkte Ermenrich zu sich. »Offensichtlich gibt es keinen Angriff«, sagte er leise. »Ziehe einen
     Teil der Leute ab, sie sollen sich vor dem Kaiserhof versammeln. Ihre Waffen sollen sie zurücklassen. Bewaffne dreißig Mann,
     deine besten, und laß sie sich unter das Volk mischen. Wenn der Dominikaner wirklich so dumm ist, das Tor des Kaiserhofs zu
     öffnen, um mir den Prozeß zu machen, dann laß die Menge hineinströmen, so daß es sich nicht wieder schließen läßt. Eine solche
     Gelegenheit, den Kaiser unblutig in die Hände zu bekommen, gibt es nie wieder. Aber sie dürfen keinen Verdacht schöpfen, man
     soll vor dem Tor keine Waffenträger sehen, sorgt dafür!«
     
    Nemo beobachtete Amiel, wie er mit dem Hauptmann flüsterte. Auf der Reise nach München war seine Vorstellung des Wiedersehens
     mit Amiel immer freundlicher geworden, er hatte sich ausgemalt, einem verzweifelten, abgemagerten Perfectus zu begegnen, der
     dankbar war für jede Hilfe, der eigentlich selbst schon entdeckt hatte, daß er vor etwas auf der Flucht war und nun in ihm
     einen Bruder erkannte. Aber das war nicht Amiel. Offenbar war Nemos Erinnerung über die Wochen verblaßt. Amiel war engstirnig
     und, das mußte er sich eingestehen, mächtiger, als er es gedacht hatte. Die ganze Stadt war auf den Beinen, nur weil er es
     befahl.
    Dennoch war es richtig gewesen zurückzukehren. Für einen kurzen Moment hatte Nemo den wahren Amiel gesehen. Als der Perfectus
     erfuhr, daß es kein feindliches Heer gab, war Erleichterung über sein Gesicht gezogen, beinahe Freude. Amiel wollte keine
     Schlacht. Nemo war sich sicher: Amiel wollte auch nicht mehr Perfectus sein.
    |443| Er würde ihn nicht aufgeben. Wenn er im Augenblick nicht zuhörte, dann würde er es später tun. Nemo würde zu ihm gehen und
     ihn um ein Gespräch unter vier Augen bitten. Bis dahin konnte er nach etwas suchen, das er Adeline mitbringen konnte. Wie
     konnte er ihr seine Liebe zeigen? Sie sprach oft von ihrer Mutter. Wenn er das schiefe kleine Haus an der alten Stadtmauer
     besuchte und ihr sagte, daß alles wohl war mit Adeline, daß sie eine gute Anstellung gefunden hatte und daß sie und er bald
     heiraten würden – und wenn er davon dann Adeline berichtete, würde es sie womöglich versöhnlich stimmen. Er konnte Adelines
     Mutter auch einen Gulden schenken. Aber das würde wie der Versuch anmuten, Adelines Gefühle zu bestechen. Nein, er würde zum
     Markt gehen und ihr einen Schinken kaufen. Der Einfall gefiel ihm. Ein Schinken drückte Fürsorge aus, er wirkte nicht wie
     Bestechung. Und wenn Adeline seine Frau wurde, dann war es doch, als habe sie selbst ihrer Mutter den Schinken gebracht.
    Er zog die Schimmelstute am Zügel mit sich und lief die Sendlinger Straße hinunter in Richtung Markt. Wo waren die Kaufleute,
     die hier sonst am Straßenrand ihre Waren angepriesen hatten? Sie fehlten. Zudem waren die Fensterläden der prunkvollen Ritterhäuser
     geschlossen. Das Volk strömte mit ihm zum Stadtinneren hin. Was hatte Amiel Hauptmann Ermenrich zugeflüstert? Hatte es damit
     zu tun?
    Die Menschenmenge ergoß sich auf den Marktplatz. Nemo stutzte. Es standen keine Weinfuhren in der Nordwestecke. Da waren keine
     Stände mit Häuten, Fellen, Bälgen, niemand verkaufte an einem wackeligen Tischchen Kräuter, keine Fernhandelsgesellschaft
     pries Gewürze an. Wo waren die alten Mütterchen, die Lebkuchen feilboten und Rosenkränze? Wo waren die Verkaufstische der
     Tuchscherer, Seiler, Kürschner? Die überwölbten Bogengänge rings um den Platz gähnten leer, und vor der Ratstrinkstube standen
     keine Tische. In der Menge aber schien es niemanden zu wundern, sie strömte

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