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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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die
     Dominikanerkutte über den Kopf.
     
    »Wenn es nicht gelingt, dann hast du dein Leben verspielt«, sagte Amiel leise.
    Nemo nickte. »Ich weiß.«
    »Warum tust du das für mich? Ich habe dir nur Böses angetan.«
    »Das ist Liebe, Amiel. Zögere nicht länger.«
    Er band die Fessel um Nemos Handgelenke. Anschließend verknotete er das zweite Seil an Nemos Füßen.
    »Der Knebel.«
    »Das muß doch nicht sein!«
    »Sie fragen sonst später, warum ich nicht geschrien habe«, flüsterte Nemo. »Ich muß ihnen glaubwürdig sagen können, daß du
     mich überwältigt hast.«
    Amiel legte ihm die Hand auf die Schulter und sah ihm ins |457| Gesicht. »Gott möge dich belohnen für diese Tat. Ich hatte nie einen Freund. Diese Nacht ist sogar jemand bereit, sein Leben
     für mich aufzugeben. Das kann ich nicht fassen. Ich werde jeden Tag an dich denken. Eines Tages werde ich es wiedergutmachen,
     an dir und all den anderen. Du wirst von mir hören.« Er trat hinter ihn und knebelte ihn.
    Dann zog er sich das weiße Dominikanerhabit an. Er steckte die Katze in die Tasche, schlüpfte auch in den schwarzen Mantel
     und legte sich die Kapuze über den Kopf. Er nahm die Fackel.
    Nemo krümmte sich in den dunkelsten Winkel der Zelle. Amiel bückte sich, hob ein wenig faules Stroh auf und streute es über
     die Fußfessel. Er drückte Nemos Fuß. Laut rief er: »Wir sind fertig! Die Gebete sind gesprochen!«
    Weit über ihm öffnete sich die Klappe. Der Korb rauschte herab, pfeifend vom Seil verfolgt. Er schlug auf dem Boden auf. Amiel
     stieg hinein. Sie zogen ihn hinauf, Stück für Stück. Es dauerte lange, bis der steinerne Schacht schmaler wurde und Amiel
     am Ende durch die Klappenöffnung schwebte. Er hielt den Kopf gesenkt, damit der Schatten der Kapuze sein Gesicht bedeckte.
    »Hat er Reue gezeigt?« fragte ein Wächter.
    Amiel hob die Hand und murmelte: »Der Herr sei dir gnädig.« Danach reichte er ihm stumm die Fackel.
    Der Wächter nahm sie entgegen. Er ging eine steinerne Treppe hinauf. Amiel folgte ihm. Als er die Tür schon sehen konnte,
     verlangsamte der Wächter seine Schritte. Amiel sah, wie seine Hand nach dem Schwert tastete. Schon zog er es, blitzschnell,
     und hielt es Amiel vor die Brust. »Wer seid Ihr wirklich, und was habt Ihr da unten gemacht?«
    »Laßt mich gehen.«
    »Das ist nicht die Stimme des Mönchs, den ich vorhin eingelassen habe. Nehmt die Kapuze ab! Ich will Euer Gesicht sehen.«
    Er schlug die Kapuze zurück.
    »Amiel!« entfuhr es dem Wächter. »Wir sollen größte Vorsicht |458| walten lassen, haben sie uns gesagt, du bist gerissen wie eine Schlange. Nun, jetzt sehe ich es selbst.«
    Amiel sah ihn schweigend an. Er zwang sich zur Ruhe. Er sagte: »War es gerissen, mir aus feuchtem Stroh ein Dominikanerhabit
     zu erschaffen?«
    »Du hast es nicht erschaffen. Es ist das Habit des Mönchs, der zu dir gekommen ist.«
    »War es gerissen, den Mond bluten zu lassen? Oder Vizenz Paulstorffer in eine Eissäule zu verwandeln? Nein, guter Wachmann.«
     Er lächelte. »Es ist das Beherrschen der Elemente. Es ist Magie.«
    Der Wachmann schluckte. Seine Augen weiteten sich.
    »Du hast die Wahl«, sagte Amiel. »Entweder, du nimmst das Schwert herunter und läßt mich gehen.« Er faßte vorn in die Mantelöffnung
     und hob die Katze heraus. Sie maunzte verstört und versuchte, das winzige Dominikanerhabit abzustreifen, in das sie eingezwängt
     war. »Oder du endest wie der Dominikaner. Wobei ich dich in eine Maus verwandeln würde. Die Katze ist hungrig.«

|459| Sommer 1356
    Der neue Tag begann. Die Baumstämme schillerten von Tautropfen. Zwischen den Farnen glitzerten Spinnennetze. Buchfinken stießen
     ihr spitzes
pink! pink!
aus. Gimpel flöteten sanft und schlossen ihren Gesang mit Pfeifen und Knarren. Von den Nadelbäumen am gegenüberliegenden Seeufer
     scholl das gleichförmige
size! size! size! size!
der Tannenmeisen herüber.
    Sie standen unter einem wilden Birnbaum. Winzige Birnchen hingen in seinen Zweigen, kaum größer als ein Fingernagel. Sie waren
     mit silbrigem Fell bedeckt. Auf den kleinen Härchen schimmerte ebenfalls der Tau. Die Farben des neuen Tages waren noch zart
     und frisch.
    Mathilde blickte über die Fläche des Sees. Morgenrot spiegelte sich darin. Einige Enten schwammen darüber. Sie sagte: »Deswegen
     ist Mutter wütend auf dich. Du hast Amiel zur Flucht verholfen.«
    »Wenn du ältere Münchner fragst, dann wirst du hören, daß er wirklich ein Magier war.

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