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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Sie begannen ihn hinunterzulassen. Das Fackellicht beschien Mauern.
     Ihm war, als führe er in ein kaltes Grab hinab.
    Nach langer Fahrt setzte der Korb auf dem Boden auf. Nemo stieg aus. Der Korb floh in die Höhe. Nemo leuchtete. Da lag Amiel.
     Er lehnte mit dem Rücken an der Wand. Neben ihm ein Kothaufen, er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, zur anderen Seite
     des Kerkers zu gehen, wenn er sich erleichterte. Fliegen kreisten über dem Kot.
    |452| Es war kaum noch Leben in ihm. Die Augen hielt er halb geöffnet, aber er hatte offensichtlich kein Interesse an seinem Besucher.
     Seine Wangen waren eingefallen und schorfbedeckt. Auch das schwarze, angegraute Haar war blutverkrustet. Er hatte sich den
     Kopf zerkratzt.
    »Wann habt Ihr zuletzt etwas gegessen?« fragte Nemo.
    Langsam richtete Amiel den Blick auf ihn. »Ich esse nichts. Ich habe die
Endura
gewählt.«
    »Was ist das?«
    »Der Tod durch Hunger. Der Tod eines Perfectus.«
    »Amiel, Ihr wißt, daß Ihr nicht perfekt seid.«
    »Ihr verschwendet Eure Zeit. Geht zurück zum Inquisitor, sagt ihm, daß er mich nicht zum Widerrufen bringen wird.«
    Er ging in die Hocke neben Amiel, hielt die Fackel so, daß sie ihrer beider Gesichter beschien. »Ich bin es.«
    Die grünen Augen erwachten. »Du?«
    Du. Er würde auch du sagen. Hier begegneten sie sich nicht als Herr und Diener, nicht als Kirchenführer und Tagelöhner. »Ich
     bin hier, um dir zu zeigen, was Liebe bedeutet.«
    Amiel wendete den Blick ab. »Liebe ist ein anderes Wort für
    Enttäuschung.«
    »Ich weiß, du bist leer und fühlst Kälte in dir. Ich kenne dich, weil ich mich kenne. Mein Leben lang habe ich mich verstellt.
     Ich bin nicht geliebt worden als der, der ich bin. Aber es gibt wirkliche Liebe. Es gibt Vergebung.«
    Amiel schüttelte langsam den Kopf. »Ich habe gemordet. Ich habe meinen eigenen Sohn umgebracht. Sein Blut klebt mir immer
     noch an den Händen. Vater, hat er gesagt, und hat im Sterben den Kopf an mich gelehnt. Ich habe Adeline Gewalt angetan, Vizenz
     Paulstorffer habe ich töten lassen. Ich habe Hunderte ins Unglück gestürzt. Bartholomäus wurde wegen mir verbrannt, andere
     wurden enteignet, eingekerkert, gequält. Für mich gibt es keine Vergebung.«
    »Warum willst du dich dann zu Tode hungern?«
    »Es ist das einzige, was ich noch tun kann. Das einzige, das ich vor Gott in die Waagschale werfen kann.«
    |453| »Aber Gott liebt dich nicht, weil du etwas leistest. Er liebt dich, weil du sein Geschöpf bist, sein Kind. Er will dich retten.«
    »Gott will mich nicht mehr haben. Ich war zornig auf ihn, verstehst du? Weil er mir nicht geholfen hat, meine Begierden zu
     bezähmen. Ich wollte sündlos sein! Warum konnte er mich nicht dabei unterstützen, warum hat er mich die Sünde nicht abwerfen
     lassen? Ich habe ihn dafür bestraft, indem ich den Begierden nachgegeben habe. Er sollte sehen, wohin es führt, daß er mich
     allein gelassen hat. Ich habe aus Wut nicht mehr gebetet. Und aus Scham, weil ich seine Gegenwart nicht ertragen konnte.«
    »Mache einen neuen Anfang mit ihm, Amiel.«
    »Das geht nicht. Er haßt mich. Zuerst muß ich mich bessern.«
    Die Katze maunzte und drückte mit ihren Pfoten gegen seinen Bauch.
    »Was ist das?« Amiel richtete sich auf.
    Nemo zog das Kätzchen aus der versteckten Tasche. In der schmutzigen, kalten Kerkerzelle war das Tier ein Wunder. Es war sauber.
     In seinen kleinen Augen spiegelte sich der Fackelschein. Neugierig tapste es über Amiels Bauch und leckte mit der kleinen
     roten Zunge an seiner Hand.
    Amiel lächelte. So hatte er ihn noch nie lächeln gesehen. Es war wie das Lächeln eines neuen, fremden Mannes.
    Nemo sagte: »Gott liebt dich.«
    Und Amiel nickte.
    Er zog das Lederbündel mit dem Kalbfleisch hervor, nahm einen kleinen roten Batzen heraus und hielt ihn dem Kätzchen hin.
     Es fraß.
    »Bitte gib mir von dem Fleisch«, sagte Amiel.
    »Es ist roh.«
    »Ich habe Hunger.«
    Nemo reichte das Lederstück herüber, auf dem das Fleisch lag. Amiel steckte sich rohes Fleisch in den Mund und kaute. Er schluckte
     es herunter. »Das Fleisch schmeckt köstlich«, |454| sagte er. Er aß, und die Katze aß, bis nichts mehr davon übrig war. Dann sah er Nemo an mit seinen grünen Augen. »Warum tust
     du das?«
    »Weil du bist wie ich. Und weil ich möchte, daß du weißt, daß es für dich Liebe und Vergebung gibt.«
    »Dein Vater … Willst du die Wahrheit wissen?«
    Nemo nickte.
    »Er war der Schatzmeister der

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