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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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als Ketzer zu bezeichnen. Wer eine falsche Lehre über Christus verbreitet, sollte von der
     Kirche gemaßregelt werden, sei es nun ein Schuhflicker oder der Papst daselbst. Ich bereue es trotz der hohen Kosten für meine
     Person nicht einen Tag, daß ich mich auf Eure Seite und damit gegen den Papst gestellt habe.«
    William dachte: Wäre es nicht dieser Anlaß gewesen, dann hättet Ihr einen anderen genutzt, um Euch vom Papst loszusprechen.
    Für Ludwig ging es nicht um die Frage, ob Christus wirklich arm war. Für ihn ging es um Macht. Wie auch immer, ohne seinen
     Schutz wäre William nicht mehr am Leben. Sie brauchten einander. Der Kaiser brauchte ihn als Gelehrten, damit er für ihn Kampfschriften
     verfaßte und Kirchenoberhäupter davon überzeugte, daß der Papst sich irrte. Und William brauchte den Kaiser, um zu überleben,
     trotz der vielen Feinde, die er sich über die Jahre mit seinen Schriften gemacht hatte.
    »Oft ist es eben auch der blanke Irrsinn, der den Schaden verursacht«, sagte der Gelehrte. »Nehmt meine Studienzeit. Warum
     bin ich ohne Magisterabschluß von der Universität geworfen worden? Es gab Streit um den Status der Lehrer in Oxford. Wie steht
     die theologische Fakultät im Verhältnis zur philosophischen Fakultät da? Das war die Frage. Ist ein philosophischer Abschluß
     eine notwendige Voraussetzung für die Lehrer der Theologie? Die Mehrheit an der Universität wollte das, ich aber war dagegen,
     weil ich die Eigenständigkeit der Theologie bewahren wollte und ihren Ruf als echte Wissenschaft, als Wissenschaft von Gott.
     Später hat man den Ketzerprozeß gegen mich aufgerollt, aber das war doch nur noch ein Schauspiel.«
    Der Kaiser schmunzelte. Die energischen Flügel seiner langen Nase wölbten sich. »An so etwas denkt Ihr, wenn Ihr hier friedlich
     über die Landschaft blickt! Da macht es doch keinen Unterschied, ob Ihr in Eurer Studierstube sitzt oder auf diesem Hügel
     steht.«
    |82| »O doch. Es holt mich zurück auf den Boden. Wie sagte schon Cicero? ›Was kann in menschlichen Angelegenheiten demjenigen groß
     erscheinen, der die Ewigkeit und die Größe der ganzen Welt kennt?‹«
    Plötzlich lachte Ludwig aus vollem Halse los. Er zeigte auf den Teich unten am Hang. »Seht Ihr das Huhn dort?« Er lachte und
     lachte und wischte sich Tränen aus den Augenwinkeln. Endlich brachte er heraus: »Es hat Entenjunge!«
    William sah, was der Kaiser meinte. Ein Huhn lief am Teich entlang, hinter sich eine Kette von Entenküken, die ihm folgten,
     als sei es eine Ente. »Tatsächlich.«
    Unvermittelt bog eines der Entenjungen ab und sprang in den Teich. Es tauchte den Kopf unter und hob ihn wieder aus dem Wasser,
     schüttelte sich, wackelte mit dem kleinen Schwänzchen. Als die anderen Entenjungen es bemerkten, verließen sie ebenfalls die
     Glucke und sprangen ins Wasser.
    Jetzt erst sah das Huhn das Unglück. Es rannte zum Ufer, lief am Wasserrand auf und ab und rief in schrillen Tönen nach den
     Küken. Die Entenjungen hörten nicht darauf. Sie badeten vergnügt.
    »Was ist da los?« rief William den Bauern hinterher, die auf dem Weg zu ihren Pflügen waren. Er zeigte auf das Huhn.
    »Haben der Glucke Enteneier untergeschoben«, rief ein Bauer herauf.
    »Warum?«
    »Die Ente hat der Fuchs geholt. Und die Glucke wollte unbedingt im Herbst brüten. Ist nicht so gut, die Hühner werden dann
     nicht richtig groß, sie wachsen im Winter zu langsam. Ich dachte mir, warum nicht, so überleben die Entlein.«
    William nickte. »Danke, ich verstehe!«
    Der Bauer verneigte sich tief, und eilig taten es ihm die anderen nach.
    Der Kaiser lächelte. »Jetzt weiß ich, was Ihr meint. So etwas erlebt man nur, wenn man sich Wind und Sonne stellt. Ich hege
     Bewunderung für Euch, wißt Ihr das? Ihr seid ein Mann der Studierstube, gelehrt wie kein zweiter in meinem |83| Reich, und doch habt Ihr diesen Blick, den nur die Kinder kennen.«
     
    Die Fenster waren mit Lumpen zugehängt. Eine kleine Talglampe stand auf dem Schreibpult und beschien das Pergament. Hinter
     Amiel brannten zusätzliche Kerzen. Er tunkte die Feder ins Tintenfaß ein und schrieb:
    N q 5 d gr 1 n dzmpn 1 ggd
6
z 5 rz s 2 nt pd 3 rd!
    Der gesamte Brief war ein Gewühl von Ziffern und Buchstaben, fein angeordnet und doch scheinbar ohne Sinn. Sorgfältig tunkte
     Amiel die Feder ein und unterschrieb mit
1 mh 2 l
. Er legte die Feder weg, nahm die hölzerne Büchse und streute Sand über das Pergament. Er blies darüber,

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