Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
Vom Netzwerk:
den Pferden pflügte schneller. William
     zählte die Bahnen und rechnete. Er war um die Hälfte schneller als die anderen. Sahen sie das nicht? Sie sollten ebenfalls
     Pferde nehmen.
    Die Herbstsonne stand im Zenit. Sie wärmte sein Gesicht. Es roch nach Gras und nach fruchtbarer, guter Erde. Am Himmel schwebte
     lautlos ein Greifvogel. Der Größe nach mußte es ein Falke sein.
    Ein Bauer stellte den Pflug am Feldrand ab und ließ die Ochsen grasen. Die anderen Bauern sahen es. Sie beendeten ihre Bahn
     und taten es ihm gleich. Sie trafen sich am Anfang der Felder, redeten, zeigten auf ihn, William. Dann kamen die drei Männer
     und der Knabe den Hang hinauf.
    Der Junge hatte das passende Alter. So alt wäre das Kind jetzt, hätte er, William, ein warmes Herz gehabt und ihm geholfen.
     Aber er war unfähig gewesen, konnte nur Ratschläge geben, ein studierter Mann mit kaltem Herzen, das war er. Die Trinkerin
     war ihm geradezu in die Arme getorkelt! Deutlicher konnte Gott die Aufforderung nicht machen. William |77| war ein Mönch und befolgte nicht das wichtigste Gebot: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
    Sie hatte den Säugling in den Armen gehalten. Der Kopf des Säuglings hatte geschwankt wie ein schweres Gewicht. Dabei rollten
     seine Augen. Er war betrunken vom Alkohol im Blut der Mutter. Sie hatte ihn gestillt und ihn damit betrunken gemacht. Was
     tat er, William? Er sagte: »Tauche den Kleinen in einen Badezuber mit kaltem Wasser, mache ihn immer wieder naß, hörst du?«
     Dann war er weitergegangen und hatte die Trinkerin stehengelassen. Er haßte sich dafür.
    Wenige Tage später hatten sie für die Beerdigung des Kleinen gesammelt. Und kurz darauf für die Beerdigung der Mutter. So
     war das, starb ein Habenichts, dann ließ man einen Topf herumgehen, um für seine Beerdigung zu sammeln. All die Bürger, die
     den Habenichts verhungern lassen hatten, warfen mit einem gönnerhaften Gesichtsausdruck einen Pfennig in den Topf, damit er
     unter die Erde gebracht werden konnte. Er, William, war keinen Hälbling besser! Er sollte es sein. Er wußte doch, was Gott
     forderte, nein, wozu Gott in seiner grenzenlosen Weisheit aufrief, denn Gott wußte, was Nächstenliebe bedeutete, daß nichts
     leben konnte ohne sie.
    Sie trugen einfache Kittel. Der graue Stoff war von Schweiß durchnäßt, obwohl es nicht warm war. Den Pflug zu führen und ihn
     mit dem Körpergewicht in den Boden zu stemmen mußte außerordentlich anstrengend sein.
    »Mittagszeit?« sprach er sie an. Sie wußten nicht, wer er war, und das war gut so. Die Hofbeamten, die ihn am Kaiserhof umwarben,
     die Boten anderer Fürsten, die Bittsteller und Briefschreiber und Bewunderer, sie alle kannten ihn nicht. Sie waren nicht
     in der Lage, den wahren William zu sehen. Diese Bauern aber sahen in ihm einfach einen Mönch, der hier stand und über die
     Felder schaute, und waren damit der Wirklichkeit womöglich näher, als es die Bewunderer je sein würden, auch wenn sie jede
     Zeile hundertfach lasen, die er verfaßte.
    »Wollt Ihr für Euer Kloster einen Acker kaufen?«
    »Ich stehe nur und schaue ein wenig.«
    |78| Sie knüpften ihre Bündel auf und holten Käse und Brot heraus. »Möchtet Ihr?«
    »Gern.«
    Er bekam ein Stück Käse und einen Kanten Brot. Er murmelte:
»Benedictus benedicat.«
Dann biß er genüßlich ab. Die Speisen am Kaiserhof waren besser, aber er aß gern unter freiem Himmel. Er fragte, kauend: »Warum
     pflügt ihr nicht alle mit Pferden?«
    »Ochsen sind stärker«, sagte einer der Bauern.
    »Stärker? Und doch braucht ihr vier, während das Pferdegeschirr nur zwei Tiere ziehen?«
    Der Bauer sagte: »Man braucht vier Ochsen. Sie werden sonst müde, bevor das Feld zu Ende umgepflügt ist. Die Pferde haben
     mehr Ausdauer. Dafür sind die Ochsen nicht so teuer im Futter. Pferde brauchen Hafer und Heu. Zum Eggen leihe ich mir manchmal
     den Gaul meines Bruders aus. Ein Vielfraß ist der. Da sind mir die Ochsen lieber.«
    Die Bauern bedachten nicht, was es bedeutete, das Feld um die Hälfte schneller gepflügt zu haben. So konnten mehr Felder mit
     denselben Zugtieren bearbeitet werden und mit demselben Pflug und mit demselben Arbeiter. Sie mußten es nicht wissen. Solange
     sie im Frieden und ohne zu hungern lebten, war es gut.
    »Was ist Euer Handwerk?« fragte der Knabe.
    »Der Mann ist ein Mönch«, sagte sein Vater. »Er betet.«
    William lächelte. »Und ich schreibe.«
    Der Boden unter seinen Füßen

Weitere Kostenlose Bücher