Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
Vom Netzwerk:
denke, ich erinnere mich. Habe ihn irgendwo hinter den
     Kisten mit den Wachskerzen versteckt.«
    »Wieso versteckst du den? Den stiehlt dir doch keiner.«
    Er kletterte auf eine kleine Leiter und langte tief in ein Regalfach. »Nicht wegen der Diebe. Ich tue es für mich! Nichts
     ist schöner, als Dinge wiederzufinden. Wenn man sie schon vergessen hatte, verstehst du? Letztes Jahr habe ich einen |86| Handspiegel zwischen den Winterkleidern versteckt. Gestern habe ich ihn entdeckt. Du glaubst nicht, wie ich mich gefreut habe!«
    Der Krämer war verrückt.
    Der junge Mann, der vor ihr stand, drehte sich um. Als sich ihre Blicke begegneten, sah er gleich wieder fort. Er war eindeutig
     erschrocken, als würde er sie kennen, es aber nicht zugeben wollen. Sein Wegsehen war kein zufälliges Umherschauen mehr. Es
     wirkte, als zwinge er sich, auf natürliche Weise den Laden zu betrachten.
    Wer war das? Er trug ein sauberes Hemd, und sein gelocktes Haar war über dem Nacken ordentlich geschnitten. Vielleicht ein
     Kanzleigehilfe. Oder der Lehrling eines Gewandschneiders. Hatte sie ihn nicht schon einmal gesehen?
    Männer waren eine Bedrohung. Sie forderten zuviel. Sie füllten den Raum aus mit ihren lauten, tiefen Stimmen, packten mit
     groben Händen an, was ihnen gefiel, und scherten sich nicht um Empfindsamkeiten. Männer konnten fröhlicher sein als Frauen,
     aber sie zahlten einen Preis dafür: Sie sahen weniger. Indem sie Dinge vergaßen, brachten sie sich in die Verfassung, aus
     voller Kehle zu lachen. Indem sie die entscheidenden Kleinigkeiten des Lebens beiseite schoben, schufen sie sich die Kräfte,
     Großes zu erreichen. Manchmal kamen ihr Männer vor wie ein fremder Menschenschlag grobschlächtiger Geschöpfe.
    Der junge Mann kam an die Reihe. Er bestellte: einen Krug, zwei Schüsseln, einen Holzlöffel, einen kleinen Kessel, ein Bettlaken,
     einen Kissenbezug.
    Der Krämer strahlte über das ganze Gesicht, es sah aus, als würde sich die Nase geraderichten. Er legte ein Ding nach dem
     anderen auf den Tisch. »Wie wirst du bezahlen? Schwäbische Heller gelten bei mir nur einen Hälbling. Es ist ungünstig, sie
     zu nehmen. Sie werden bald abgewertet. Du verstehst schon! Das Geld aus Böhmen und Schwaben enthält einfach zu wenig Silber.
     Die legen uns aufs Kreuz!«
    »Ich bezahle hiermit.« Der junge Mann legte einen Goldgulden neben die Waren.
    |87| Einen Augenblick lang stand der Händler reglos da und sah vom Goldstück zum Kanzleigehilfen und zurück. Dann sagte er: »Das
     ist gutes Gold. Sei nicht böse, ja? Die Münzen! Man muß vorsichtig sein. Italiener bringen Florentiner Gulden nach München
     und venezianische Dukaten. Die habe ich gern. Über den Salzhandel allerdings kommt der schwäbische Heller. Manche Kaufleute
     bezahlen mit Berner Mark. Von der Donau her: Regensburger und Wiener Pfennige und böhmische Gulden und Groschen. Man muß den
     Überblick behalten.«
    »Und zwei Wolldecken, bitte«, sagte der junge Mann.
    »Die Stadtkammer ist ja für viele die öffentliche Sparbank. Witwen legen ihre kleinen Vermögen an, Dienstboten bringen ihre
     Sparpfennige hin. Jeder kauft Leibrenten. Aber ich sage: Unsinn ist es! Wer Sicherheit sucht, sollte sein Angespartes besser
     in Goldgulden umtauschen. Warum? Na, denk doch einmal nach! Erstens hört deine Rente auf, wenn du stirbst, und die Stadt behält
     das eingezahlte Vermögen. Und dann: Wozu verkauft die Stadt die Leibrenten? Weil sie ihre Schulden auszugleichen sucht! Sonst
     würde sie das niemals tun. Wer eine Leibrente kauft, wird Gläubiger der Stadtkasse, und die steckt in großen Nöten. Kein vernünftiger
     Kaufmann kann dir dazu raten. Was sagst du?«
    »Zwei Wolldecken, bitte«, wiederholte der junge Mann.
    Der Krämer sah über den Verkaufstisch, als sei er aus einem Traum aufgewacht. »Wie willst du das alles forttragen?«
    Der Kanzleigehilfe stutzte. Offenbar hatte er darüber noch nicht nachgedacht. Adeline mußte lächeln. Er stand jetzt da wie
     ein kleiner Junge, ratlos und beschämt. In dieser schutzlosen Lage gefiel er ihr.
    Es war erstaunlich, daß er so viel einkaufte. Hatte er geheiratet und mußte einen Hausstand einrichten? Für gewöhnlich heiratete
     man erst, wenn die Lehrzeit hinter einem lag. War er bereits im Besitz eines Meisterbriefs? Sie ertappte sich dabei, die Frau
     des jungen Mannes zu beneiden. Er war sicher gut zu ertragen. Er wirkte nicht bedrohlich.
    |88| »Ich komme ein paarmal«, antwortete er dem

Weitere Kostenlose Bücher