Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
Vom Netzwerk:
Krämer. »Kannst du die Sachen für mich aufbewahren?«
    »Selbstverständlich. Du bezahlst gleich alles? Es macht fünfundzwanzig Pfennige und einen Hälbling. Ich gebe dir für das Wechselgeld
     einen Beutel.« Der Händler zählte 188 Silberpfennige und 41 Hälblinge in einen kleinen Ledersack. Dann war seine Kasse leer.
     »Sechs Pfennige fehlen. Wenn du vielleicht warten möchtest, bis die junge Frau bezahlt hat?«
    »Nein, das ist für den Lederbeutel, dann stimmt es.«
    Er war reich. Reiche Leute kauften ihr Geschirr bei den Fernhändlern, oder sie ließen es sich nach eigenen Wünschen von den
     Töpfern anfertigen. Reiche Leute beauftragten Schneider, ihnen Bettzeug zu nähen. Warum war er hier?
    Der junge Mann stellte die Schüsseln in den Kessel. Seine Hände zitterten. In Adeline stieg Zuneigung auf. Es war ihm unangenehm,
     er schämte sich vor dem Krämer und vor ihr. Es ging ihm genau so, wie sie sich oft fühlte. »Soll ich helfen?« fragte sie.
    »Nicht nötig, es geht.« Er schlug den Blick nieder, als er den Kessel an ihr vorbeitrug.
     
    Nemo schaffte es nicht bis zum Goldschmied bei der Rueßwurm-Brauerei. Amiel hatte ihn angewiesen, den Hausrat in das zweite
     Stockwerk des Gebäudes zu bringen, aber er stellte den Kessel ab und sank beim »Raben« auf eine Steinbank nieder. Er verbarg
     das Gesicht in den Händen. Seine Brust war angefüllt mit Adeline.
    Zum Narren hatte er sich gemacht. Sie hatte seine zitternden Hände gesehen, ihr Blick war an ihnen hängengeblieben. Das Schlimme
     war: Er liebte sie noch mehr nach dieser Begegnung. Die Sehnsucht schnürte ihm schier den Atem ab.
    »Was darf es sein?«
    »Ist mir gleich«, sagte er, ohne aufzublicken. Er litt unter Brustschmerzen, als quetschte eine Riesenklaue seinen Oberkörper
     zusammen.
    »Eine Maß Bier also.«
    |89| Es war einer der seltenen Momente, in denen er sich nach den Brüdern der Taube und des Kreuzes sehnte. Wie gern würde er einen
     Bruder zum Krankenbesuch in die Stadt begleiten, neben der himmelblauen Kutte hergehen, schweigen.
    Es half, an die Kindheit zurückzudenken. Es machte ihn ruhiger. So gelang es vielleicht, Adeline aus seinen Gedanken zu verbannen.
     Allein ihr Name stach ihn wie ein Dolch. Adeline. Nein, er wollte jetzt einfach nur an die Kindheit denken. Wie aufgeräumt
     war damals das Leben gewesen!
    Zugegeben, die meiste Zeit war er ungehorsam gewesen bei den Kreuzherren. Es war einfach nicht seine Sache, täglich hundertdreiunddreißig
     Vaterunser zu beten. Auch das Konventamt im Krankensaal ermüdete ihn. Aber der Ordensmeister! Nemo und die anderen Waisenkinder
     waren sein Steckenpferd gewesen. Er versuchte, ihnen Griechisch und Latein beizubringen, lehrte sie Lesen und Schreiben.
    Während der Schulstunden ritzten sie heimlich anzügliche Zeichnungen in ihre kleinen, wachsbeschichteten Holztafeln und zeigten
     sie dem Tischnachbarn. Einer der Jungen lief immer rot an, wenn er versuchte, das Lachen zu unterdrücken. Einmal war es so
     schlimm, daß er sich die Hand vor den Mund pressen und einen Hustenanfall vortäuschen mußte. Bis heute wußte Nemo nicht zu
     sagen, ob es der Ordensmeister durchschaut hatte.
    Er seufzte. Adeline. Ein Bierkrug stand vor ihm auf dem steinernen Tisch. Er hatte überhaupt nicht bemerkt, wie die Wirtin
     ihn gebracht hatte.
    Daß sie ihn überhaupt bediente, zeigte ihm, daß der Barbier ganze Arbeit geleistet hatte. Die gute Rasur und die geschnittenen
     Haare sorgten offenbar dafür, daß man ihn nicht wiedererkannte. Der Tagelöhner Nemo hatte im »Raben« so hohe Schulden angehäuft,
     daß man ihm hier nichts mehr gab, nicht einmal eine Schüssel Arme-Leute-Suppe, die aus Küchenresten gekocht wurde und deshalb
     jeden Tag auf andere Weise erbärmlich schmeckte. Nun, er war nicht der Tagelöhner Nemo. Er trug ein neues Hemd und duftete
     nach Seife.
    |90| Nemo setzte den Krug an die Lippen und trank einen Schluck des kühlen Biers. Es gab Wichtigeres zu tun in diesen Tagen, als
     von einer Frau zu träumen. Er hatte eine Spur zu seinen Eltern gefunden. Er mußte diesen Amiel von Ax knacken.
    »Ihr habt es nicht leicht.«
    War das nicht die Stimme des Fremden? Nemo blickte auf. Amiel stand leibhaftig da, in der einfachen Kutte und den staubigen
     Schuhen, die er an der Lände getragen hatte, und redete mit drei Standweibern. Sie waren hinter ihren Tischen hervorgekommen,
     um mit ihm zu plaudern.
    Wie ihn die Frauen ansahen! Sie pflückten mit ihren Blicken jedes

Weitere Kostenlose Bücher